Full text: Vom Regierungsantritt Friedrichs des Großen bis zum Wiedererstehen des Deutschen Reiches (Bd. 8)

70 Vom zweiten Pariser Frieden bis zur Wiederherstell, d. Deutsch. Reiches. 
Liberalismus in eroberungslustigem Aufschwünge. — Damals 
standen der ratlose Enthusiasmus der Liberalen und die schwächliche 
mürrische Vorsorge der Regierungen für das reale Wohl feindselig 
gegeneinander; seitdem haben die Träume der Volksführer von 
1832 gleich dem Sauerteige gewirkt, der, an sich unschmackhaft, 
unser tägliches Brot genießbar macht. Ihre Ideen, bekämpft, viel¬ 
fach modifiziert, haben zum großen Teil gesetzliches Leben ge¬ 
wonnen; Fürsten und Volksvertreter, alle politischen und sozialen 
Partien haben dafür und dagegen gerungen. — Freilich waren 
damals auch die deutschgesinnten Patrioten, welche sich nicht mit 
den unsicheren Träumen von allgemeinem Weltbrand und euro¬ 
päischer Republik befriedigten, in verhängnisvoller Unsicherheit 
über den Umfang ihres künftigen Deutschlands. Wie die öster¬ 
reichische Ländermasse dazu stehen sollte, wußte keiner zu sagen. 
Es ist noch lange nachher ein ganzes Jahr parlamentarischer Ver¬ 
handlungen nötig gewesen, um darüber eine politische Forderung 
zu erzeugen. Uni) ferner war ihnen das Wefen des preußischen 
States fast unbekannt. Sie vergaßen gern, daß Preußen damals 
14 Millionen Deutsche umfaßte, fast mehr als die kleineren 
Bundesstaaten zusammen, und daß eine feste organisierte Einheit, 
die bereits die reichliche Hälfte des Ganzen war, bei jeder Neu¬ 
bildung deutscher Verhältnisse ein entscheidendes Wort sprechen 
mußte. -ja, die preußische Regierung war ihnen besonders an¬ 
stößig- Der König hatte seinem Volke eine Verfassung verheißen 
und fein Versprechen nicht erfüllt, die preußische Diplomatie suchte 
mit Eifer die liberalen Anläufe der süddeutschen Kammern zu ver¬ 
dächtigen ; Preußen galt für einen Militärstaat, der doch nicht den 
Mut habe, eine kriegerische Politik zu verfolgen; die preußischen 
Landschaften endlich ließen sich mit unerträglicher Fügsamkeit das 
harte Staatswesen gefallen. Man hatte im Süden keine Ahnung, 
wie groß dort im Osten die Armut, der Mangel an Kapital und 
an überschüssiger Menschenkrast nach 10 Jahren des Krieges, einer 
feindlichen Dccupation, einer systematischen Aussaugung des 
Landes und nach einer unerhörten Anspannung für die Befreiung 
geworden war. — Wahrlich, die Zustände der alten Provinzen 
Preußens tn jener Zeit wären wohl der brüderlichen Teilnahme 
des deutschen Westens wert gewesen. — Daß bei solcher Lage des 
Staates auch die äußere Politik Preußens lange unfrei war und 
ängstlich beflissen, im Bann der heiligen Allianz die mühsam ge¬ 
schaffene Ordnung zu bewahren, war nicht unnatürlich, und darum 
wird das Urteil der Geschichte über das System Friedrich 
Wilhelms III. dereinst vielleicht milder sein, als das feiner Zeit¬ 
genossen war.
	        
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