Full text: Deutsches Lesebuch für die Oberklassen der Volksschule

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Sbenfalls zu den Eidechsen gehört die Blindschleiche, die aber 
meist noch zu den Schlangen gezählt wird. Eine Schlange ist sie nun 
aber entschieden nicht. Ihr ganzer Körperbau, die gar nicht dehnbaxen, 
fest zusammenhängenden Kinnbacken lehren sie uns ganz entschleden 
als Eidechse kennen, und sie unterscheidet sich von diesen ihren Schwestern 
durch nichts als die fehlenden Füße. Wenn nun äber schon alle 
unsere einheimischen Schlangen, bis auf die alleinige Kreuzotter, 
durchaus giftlos und unschaͤdlich sind, wie sollte da diese Edechse 
Schlangengift besitzen? 
Die Blindschleiche ist in der That das unschuldigste und harm⸗ 
loseste, ja zugleich eins der allernützlichsten unserer freilebenden Thiere 
Sie vermag nimmermehr irgend welchen Schaden zu stiften, — selbst 
hart angegriffen, kann sie mit ihren feinen Zähnchen uns kaum die 
Haut rißen, dagegen ernährt sie sich aber besonders von nackten Land 
schnecken und allerlei schaͤdlichem Gewürm, und da sie eine Länge von 
wohl 45 em erxreicht, so vertilgt sie davon natürlich bedeutende Mengen 
Statt sie daher auf das emsigste zu verfolgen, sie zu markern und zu 
tdten wo sie sich blicken läßt, sollte der Landmann sie in Garten, Feld 
und Wiese als einen willkommenen Gast betrachten, sie schüßen und hegen. 
Man nennt die Blindschleiche auch Haselwurm oder Bruchschlange 
Den Namen Blindschleiche hat ihr der Volksmund ihrer sehr kleinen 
Augen und ihrer schleichenden Fortbewegung wegen gegeben, den letzteren 
aber einer Eigenschaft wegen die sie mit allen Eidechsen gemeinsam 
hat. Ihnen allen bricht nämlich bei jeder rauhen Berührung gar 
leicht der Schwanz ab und der Blindschleiche sogar so leicht, daß man 
selten ein älteres Cxemplar mit noch unbeschädigter Schwansspitze findet 
Der Schwanz wäaͤchst ihnen aber in einiger Zeit wieder nach oder 
rundet sich doch wenigstens ab. Die Blindschleiche kommt in fast 
ganz Europa vor und ist bei uns in Deutschland dank ihrer starken 
Vermehrung trotz der vielfachen Verfolgungen, fast überall häufig zu 
finden. Sie legt ganz in der Weise der anderen Eidechsen acht bis 
sechszehn Eier, aus denen die Jungen meistens bald hervorschlüpfen. 
In der Gefangenschaft haͤlt sie sich ͤbenfalls sehr gut und kann, ohne 
zu sterben, bis sechs Monate lang fasten. Alle Eidechsen verkriechen 
sich zur Winerruhe in die Erde, wo sie erstarren und dann, von den 
ersten Sonnenstrahlen im März erweckt, wieder hervorkommen. Ohn⸗ 
schützende Decke können sie den Frost micht überdauern. Die Bliud 
schleichen berelten sich ganz eigenthümliche Winterzufluchtsstälten. Sie 
graben bis einen Meter lange Hoͤhlungen in die Erde, in denen sie 
gesellig den Winterschlaf beginnen. Dort liegen sie theils in einander 
verschlungen, theils einzeln zusammengerollt, ganz hinten die größten 
und ältesten, dann kleinere und vorn nach dem Ausgange zu, welcher 
letztere mit Gras Laub und Erde sorgsam verwahrt ist, die jungsten 
und kleinsten. In dieser Weise halten sie aber nicht bloß den Winter— 
schlaf, sondern leben auch überhaupt gesellig bei einander.
	        
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