Full text: Mittelalter (und Neuzeit bis 1648) (2)

— 89 — 
Nun ist die Bittefahrt so hehr. 
Christ ritt selber gen Jerusalem, 
Er führt ein Kreuz an seiner Hand; 
Nun helfe uns der Heiland. 
Nun ist die Bittefahrt so gut. 
Hilf uns, Herr, durch dein heiliges Blut, 
Das du an dem Kreuze vergossen hast 
Und uns in dem Elende gelassen hast. 
Nun ist die Straße also breit, 
Die uns zu unserer lieben Frauen treit (trägt), 
In unserer lieben Frauen Land; 
Nun helfe uns der Heiland. 
Wir sollen die Buße tun an uns allen. 
Daß wir Gott desto baß gefallen 
Alldort in seines Vaters Reich; 
Des bitten wir Sünder allzugleich. — 
Wenn sie so in die Kirche kamen, so knieten sie nieder und sangen: 
Jesus ward gelabt mit Gallen, 
Des sollen wir an ein Kreuze fallen. 
Bei diesen Worten fielen sie alle in Kreuzesgestalt auf die Erde. 
Wenn sie nun eine Weile also gelegen, so hob ihr Vorsänger an und sang: 
Nun hebet auf eure Hände, 
Daß Gott dies große Sterben wende; 
Nun hebet auf eure Arme, 
Daß sich Gott über uns erbarme! 
Dann standen sie aus. Das taten sie dreimal. Wenn sie zum 
drittenmal ausstanden, so luden die Leute die Brüder: einer lud zwanzig, 
einer zwölf oder zehn, jeder nach seinen Verhältnissen, und führten sie 
heim und boten ihnen Gutes. 
Wenn sie nun wollten büßen, also nannten sie das Geißeln, das 
mindestens zweimal des Tages stattfand, so zogen sie ins Feld hinaus, 
und man läutete die Glocken, und sie gingen je zwei und zwei. Und 
wenn sie kamen an die Geißelstatt, so entkleideten sie sich bis auf die 
Hüften und taten Kittel oder weiße Tücher um sich, die reichten vom 
Gürtel bis auf die Füße. Und wenn sie wollten anfangen zu büßen, so 
legten sie sich nieder in einen weiten Kreis. Dann fing ihr Meister an, 
wo er wollte, und schritt über einen und berührte den mit seiner Geißel 
und sprach: 
Steh auf durch der reinen Marter Ehr' 
Und hüte dich vor Sünden mehr! 
So schritt er über sie alle, und über welchen er schritt, der stand 
aus und schritt dem Meister nach über die, die vor ihm lagen. Wenn
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.