Full text: Bismarcks Reden und Briefe in Auswahl (Nr. 45)

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kommen. In allen monarchischen Staaten ertönte immer 
dringender der Ruf nach einer Konstitution oder Ver¬ 
fassung, d. H. einem Staatsarnndaeseke. das die Form 
und die Rechte der Regierung sowie die Freiheiten und die 
Rechte der Bürger, namentlich den JInteü der Volks¬ 
vertretung an der Gesetzgebung und Steuerbewilligung, 
bestimmt. Es kam also bei der konstitutionellen Frage 
darauf an, Unterordnung unter die Staatsgewalt und 
Freiheit des Einzelnen in solcher Weise miteinander zu 
vereinen, daß die allgemeine Wohlfahrt dadurch geför¬ 
dert wurde. Schon im Kampfe gegen Napoleon reg e sich 
das Verlangen des Volkes, an der Gestaltung seines Ge¬ 
schickes teilzunehmen. 
Tie dritte Frage, die jedoch viel später als die beiden 
anderen in der deutschen Geschichte eine treibende Kraft 
2> bildete, war die soziale: wie kann der durch die kapi¬ 
talistische Produktionsweise gesteigerte Gegensatz zwischen 
Besitzenden und Nichtbesitzenden, insbesondere zwischen den 
Fabrikanten (Arbeitgebern) und den persönlich freien, aber 
wirtschaftlich unselbständigen Fabrikarbeitern (dem soge¬ 
nannten vierten Stande) gemildert werden? 
Tie Lösung dieser drei Fragen wurde gerade in 
Deutschland durch mannigfache Hemmnisse erschwert. 
Was zunächst die Einheit betrifft, so standen an der Spitze 
des Deutschen Bundes zwei Großmächte/ Österreich und‘»ou*J/ 
Preußen, zwischen denen seit Jahrhunderten Eifersüchte^ < 
herrschte. Ter Leiter des österreichischen Kaiserstaates," 
Fürst Metternich, der „Kutscher Europas", besaß niemals^ 
auch nur das geringste Verständnis dafür, „daß ein7"" 
Deutschland sich begründe, gesetzlich frei, volkskräftig, un-tllf " 
zersplittert" (mit diesen Worten gab Uhland 1816 
nationalen Sehnsucht Ausdruck), und wußte im Bunde.' 
mit Rußland den Hohenzollernstaat ins Schlepptau 
nehmen. Einzig und allein auf dem Gebiete des Handels 
und des Heerwesens.schlug Preußen selbständige Bafjröir 
cm und erwarb sich durch den Zollverein einen An-
	        
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