Full text: Bismarcks Reden und Briefe in Auswahl (Nr. 45)

— 41 — 
streichen gerasselt ist, so hilft mir meine alte Repntation 
von leichtfertiger Gewalttätigkeit, und man denkt: „Nanu 
geht's los". 
Vielleicht ist dies alles Rechnung ohne den Wirt, 
vielleicht entschließt sich Se. Majestät niemals dazu, mich 
zu ernennen, denn ich sehe nicht ein, warum es überhaupt 
geschehen sollte, nachdem es seit 6 Wochen nicht geschehen 
ist. Daß ich aber hier den heißen Staub von Paris 
schlucken, in Cafes und Theatern gähnen soll, dazu fehlt 
aller Grund, die Zeit ist besser im Bade zu verwenden. 
Ich bin doch erstaunt von der politischen Unfähigkeit 
unserer Kammern, und wir sind doch ein sehr gebildetes 
Land; ohne Zweifel zu sehr. Wie sind wir Deutschen 
doch in den Ruf schüchterner Bescheidenheit gekommen? 
Es ist keiner unter uns, der nicht vom Kriegführen bis 
zum Hundeflöhen alles besser verstände, als sämtliche ge¬ 
lernte Fachmänner, während es doch in anderen Ländern 
viele gibt, die einräumen, von manchen Dingen weniger 
zn verstehen als andere, und deshalb sich bescheiden und 
schweigen. 
Mehr als sechs Wochen verlebte B. in Südfrankreich 
(köstliche Reisebriefe schrieb er namentlich aus dem Seebade 
Biarritz). Nach herrlichen Erholungstagen eilte er auf Drän¬ 
gen Roons nach Berlin und stand am 22. und^23, September 
1862 vor Wilhelm I., der wegen des Konflikts mit dem Äbge- 
ordnetenhause bereits seine Abdankungsurkunde aufgesetzt hatte. 
Bismarck brachte durch seine Erklärung, die Befehle des Königs 
‘auch dann zu befolgen, wenn sie seinen persönlichen Eigenschaften 
nicht entsprächen', den Herrscher von Rücktrittsgedanken ab und 
wurde zum Ministerpräsidenten ernannt. Roon war 'der 
einzige’ unter den Ministern, der ‘sich der Wirkung und des 
Zwecks' dieser Tatsache ‘bewußt war'. Wilhelm I. und Bis¬ 
marck, in ihrem innersten Wesen sehr verschieden geartet, da¬ 
her oft in tiefgreifenden Meinungsgegensätzen zueinander1), 
führten eine neue Zeit herbei voll sagenhaften Glanzes. 
x) Bismarck mußte die folgenschwersten Beschlüsse seinem ‘alten 
Herrn' förmlich abringen und konnte oft die Kämpfe gegen ihn ‘ge»
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.