24. Professor Steffens in Breslau 27
24. Professor Steffens in Breslau.1)
... Die Bewegung in der Stabt war grenzenlos, alles wogte hin
inb her, jeder wollte etwas erlauschen, irgendetwas vernehmen, wel-
hes der immer stärker heranwachsenden Gärung eine bestimmte Rief)-
:img geben sonnte; Unbekannte sprachen sich an und standen sich Rede,
)ie vielen Tausende, die aus allen Gegenden nach Breslau strömten,
wogten mit den aufgeregten Einwohnern auf den erfüllten Straften,
drängten sich zwischen heranziehenden Truppen, Munitionswagen, Ka=
[tonen, Ladungen von Waffen aller Rrt; ein ausgesprochenes Wort,
Venn es irgendeine Beziehung auf die Angelegenheiten des Staates
}atte, ward urplötzlich und wie mit gewaltiger, lauter Stimme von
illen gehört. Hoch waren die zwei zwischenliegenden Stunden kaum
zur Hälfte verflossen, als eilig und mit heftiger Hufregung eine große
Masse meiner Wohnung zuströmte. Der hörsaal war gedrängt voll.
3n den Fenstern standen viele, die Türe konnte nicht geschlossen wer¬
den, auf dem Korridor, auf der Treppe, selbst auf der Strafte bis in
bedeutender (Entfernung von meinem Hause wimmelte es von Menschen.
Es dauerte lange, ehe ich den Weg zu meinem Katheder fand. Noch hatte
ich an diesem Tage meine Frau nicht gesehen. ITtein Schwiegervater,
her mit Frau und Tochter nach Breslau gekommen war, wohnte eine
Treppe höher bei von Raumer. . . . Das Zuströmen der ungeheuern
Menge Menschen war ihnen unbegreiflich; sie mochten wohl eine un¬
bestimmte Ahnung von meinem Entschluß haben. Meine Frau wagte sich
nicht heraus; durch die zu Erkundigungen abgesandte Magd lieft ich sie
auf eine spätere Stunde vertrösten; dann, versprach ich, solle sie alles
erfahren. Ich hatte diese zwei Stunden in einem seltsamen Zustande
zugebracht; was ich sagen wollte, regte mein ganzes innerstes Dasein
auf; ich sollte jetzt und unter solchen Verhältnissen aussprechen, was
fünf Jahre hindurch zentnerschwer auf meinem Gemüte gelastet hatte;
ich sollte der erste sein, der nun öffentlich laut aussprach, wie jetzt der
Rettungstag von Deutschland, ja von ganz (Europa, da war; die in¬
nere Bewegung war grenzenlos, vergebens suchte ich Ordnung in
meine Gedanken zu bringen, aber Geister schienen mir zuzuflüstern,
mir Beistand zu versprechen, ich sehnte mich nach dem Ende dieser quälen¬
den Einsamkeit; nur ein (Bedanke trat vorherrschend hervor: „Wie oft
hast du dich beklagt," sagte ich mir, „daft du hier in diese Ecke von
Deutschland hingeschleudert wurdest: und sie ist jetzt der alles ergrei¬
fende, begeisternde Mittelpunkt geworden; hier fängt eine neue Epoche
in der Geschichte an, und was diese wogende Menschenmenge bewegt,
1) f}. Steffens, tDas ich erlebte, VII 74ff. Steffens hatte den Studenten
mitgeteilt, daß er zu ihnen über die Bekanntmachung vom 3. Februar (siehe
Hr. 23) sprechen werde.