Full text: Der Feldzug in Rußland 1812 und die Erhebung des preußischen Volkes (H. 71)

24. Professor Steffens in Breslau 27 
24. Professor Steffens in Breslau.1) 
... Die Bewegung in der Stabt war grenzenlos, alles wogte hin 
inb her, jeder wollte etwas erlauschen, irgendetwas vernehmen, wel- 
hes der immer stärker heranwachsenden Gärung eine bestimmte Rief)- 
:img geben sonnte; Unbekannte sprachen sich an und standen sich Rede, 
)ie vielen Tausende, die aus allen Gegenden nach Breslau strömten, 
wogten mit den aufgeregten Einwohnern auf den erfüllten Straften, 
drängten sich zwischen heranziehenden Truppen, Munitionswagen, Ka= 
[tonen, Ladungen von Waffen aller Rrt; ein ausgesprochenes Wort, 
Venn es irgendeine Beziehung auf die Angelegenheiten des Staates 
}atte, ward urplötzlich und wie mit gewaltiger, lauter Stimme von 
illen gehört. Hoch waren die zwei zwischenliegenden Stunden kaum 
zur Hälfte verflossen, als eilig und mit heftiger Hufregung eine große 
Masse meiner Wohnung zuströmte. Der hörsaal war gedrängt voll. 
3n den Fenstern standen viele, die Türe konnte nicht geschlossen wer¬ 
den, auf dem Korridor, auf der Treppe, selbst auf der Strafte bis in 
bedeutender (Entfernung von meinem Hause wimmelte es von Menschen. 
Es dauerte lange, ehe ich den Weg zu meinem Katheder fand. Noch hatte 
ich an diesem Tage meine Frau nicht gesehen. ITtein Schwiegervater, 
her mit Frau und Tochter nach Breslau gekommen war, wohnte eine 
Treppe höher bei von Raumer. . . . Das Zuströmen der ungeheuern 
Menge Menschen war ihnen unbegreiflich; sie mochten wohl eine un¬ 
bestimmte Ahnung von meinem Entschluß haben. Meine Frau wagte sich 
nicht heraus; durch die zu Erkundigungen abgesandte Magd lieft ich sie 
auf eine spätere Stunde vertrösten; dann, versprach ich, solle sie alles 
erfahren. Ich hatte diese zwei Stunden in einem seltsamen Zustande 
zugebracht; was ich sagen wollte, regte mein ganzes innerstes Dasein 
auf; ich sollte jetzt und unter solchen Verhältnissen aussprechen, was 
fünf Jahre hindurch zentnerschwer auf meinem Gemüte gelastet hatte; 
ich sollte der erste sein, der nun öffentlich laut aussprach, wie jetzt der 
Rettungstag von Deutschland, ja von ganz (Europa, da war; die in¬ 
nere Bewegung war grenzenlos, vergebens suchte ich Ordnung in 
meine Gedanken zu bringen, aber Geister schienen mir zuzuflüstern, 
mir Beistand zu versprechen, ich sehnte mich nach dem Ende dieser quälen¬ 
den Einsamkeit; nur ein (Bedanke trat vorherrschend hervor: „Wie oft 
hast du dich beklagt," sagte ich mir, „daft du hier in diese Ecke von 
Deutschland hingeschleudert wurdest: und sie ist jetzt der alles ergrei¬ 
fende, begeisternde Mittelpunkt geworden; hier fängt eine neue Epoche 
in der Geschichte an, und was diese wogende Menschenmenge bewegt, 
1) f}. Steffens, tDas ich erlebte, VII 74ff. Steffens hatte den Studenten 
mitgeteilt, daß er zu ihnen über die Bekanntmachung vom 3. Februar (siehe 
Hr. 23) sprechen werde.
	        
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