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35. Girandola in Aom?)
Ferdinand Gregorovius, Wanderjahre in Italien. Band 1*. Leipzig 1890. S. 261 ff.
Ehedem stieg die Girandola am Tage nach der Beleuchtung des Sankt Peter
vom Mausoleum des Hadrian auf, jetzt aber vom Monte Pincio, über der Piazza
del Popolo, gegen welche die Fassade dieses herrlichen Spazierganges gekehrt ist.
Man sagt, daß sie auf dem hohen Kastell einen weit prächtigeren Anblick gewährt
habe, und das ist wohl glaublich, weil sie von dort aus gleichsam über die Stadt
selbst sich erhob. Indes macht die Girandola auch auf dem Monte Pincio eine über
alles Vorstellen zauberische Wirkung.
Sobald ein Schuß vom Kastell das Zeichen gibt, donnern die Kanonenschläge
auf dem Pincio, und nachdem erst einige Raketen aufgestiegen sind, schießt rauschend
und sausend, wie eine vulkanische Eruption unvermutet und gewaltsam der Feuer¬
strom der Girandola hinter der Fassade des Pincio hervor. Eine Riesengarbe oder
eine ungeheuere Palmenkrone sprühenden Feuers fliegt, von der Erde gleichsam
ausgeftoßen, zischend und knallend auf, breitet sich fächerartig über den Himmel aus
und scheint ihn halb bedecken zu wollen. Das geblendete Auge hat nicht Zeit, in
diesem Strahlenphänomen das Spiel der Einzelheiten zu verfolgen, die ganze er¬
habene Erscheinung rauscht schon zu Häupten des Betrachtenden, der am Obelisk
der Piazza del Popolo steht, und indem sie sich auflöst, scheint der Himmel Myriaden
Sterne auf uns herab zu regnen. Es ist kaum ein Betrachten zu nennen, es ist
eine urplötzliche Flammenvision, welche dahinfährt und in kürzester Zeit verschwindet;
die Erinnerung hält sie wie die Magie einer Traumerscheinung fest.
Die Girandola ist verschwunden — der Nachthimmel glänzt wieder tief und
klar, und die weiße Dampfwolke wallt langsam über die Porta del Popolo. Nun
beginnen einzelne Stoß- und Knallraketen hinter den Bäumen des Pincio auf¬
zuplatzen, lichtlos und gleichsam nur als geisterhafte Ankündigung neuer Erscheinungen.
Eine knallt hinter den marmornen Sphinxen, welche am Eingänge des Monte
Pincio liegen, und indem bei diesen heftigen Schlägen einzelne Blitze aus dem
Dampfgewölk aufzucken, erscheinen die dunkel und geheimnisvoll hingelagerten
Sphinxe wie dämonische Wesen, die aus der Tiefe heraufgestiegen sind.
Bengalisches Feuer zündet jetzt die Fassade einer gotischen Kirche oder eines
Tempels an, welcher mit erleuchteten Konturen als ein Zauberpalast feenhaft über
den schwarzen Pinien des Pincio schwebt. Der Tempel verlischt nach und nach;
dann fliegen Raketen, Leuchtkugeln, Sterne in blauem, rotem und weißem Licht ohne
Aufhören empor und zerplatzen zum Sternregen. Ohne Ende zischen Feuerschlangen
in den Lüften und erhellen den Platz, und in dem Widerscheine all dieser sausenden
1) Anmerkung der Herausgeber: Gregorovius verfaßte den Aufsatz, aus dem obige Schilderung
entnommen ist, im Jahre 1854. Das Feuerwerk, die Girandola, findet jetzt am Abend des 1870
eingeführten Verfasfungsfestes (am ersten Junisonntag) statt und zwar vom Monte Pincio aus,
auf dem das Goethedenkmal seine Stätte findet.