60 Bilder aus der deutschen Geschichte.
Rudolfs Charakter. Rudolfs Einfachheit, Tugend und Rechtschaffenheit ge¬
wannen ihm nicht weniger Verehrung als sein Verstand, seine richterliche Unparteilich¬
keit und seine Kriegsthaten. Nach seinem Tode wurden von ihm eine Menge Geschichten
erzählt, welche dies beweisen. So soll er seinen einfachen grauen Wams, weun's not
that, selbst ausgebessert haben. Als es auf einem Feldzug an Nahrung fehlte, zog er
eine Rübe aus dem Acker und verzehrte sie mit den Worten: „Solange wir die noch
haben, werden wir nicht verhungern". Als seine Kriegsleute einst einen armen Mann
zurückweisen wollten, verwies er es ihnen mit den Worten: „Bin ich denn König, um
mich einschließen zu lassen?" Als man ihm einst sagte, er sei allzugütig, antwortete
er: „Es hat mich schon oft gereut, daß ich zu streng war; nie aber wird es mir leid
sein, daß ich zu gütig gewesen bin". Bekannt ist Rudolfs Erlebnis mit einer Bäckers¬
frau in Mainz: Einst trat Rudolf bei kaltem Herbstwetter in einfacher Kleidung zu
Mainz in ein Bäckershaus, um sich ein wenig zu wärmen. Die Frau hielt ihn für
einen gemeinen Soldaten und wies ihn fort mit den Worten: „Scher' dich fort zu deinem
Bettelkaiser, der mit seinen Knechten das Land aussaugt!" Als Rudolf trotzdem ruhig
stehen blieb, nahm die zornige Frau ein Gesäß mit Wasser und goß ihm dieses über
den Kopf. Gelassen ging der König fort. Am Mittag schickte er der Frau einige
Speisen und ließ ihr sagen, das schicke ihr der Ritter, den sie am Morgen so unfreund¬
lich behandelt habe. In Verzweiflung erschien die Frau vor dem König und bat um
Verzeihung. ^ Diese wurde ihr gewährt. Ihre einzige Strafe bestand darin, daß sie
vor den Gästen des Königs alles wiederholen mußte, was sie am Morgen gesagt hatte.
Adolf von Nassau (1291—1298). Furcht vor der rasch emporstrebenden Macht der
Habsburger und Abneigung gegen Rudolfs harten und habgierigen Sohn Albrecht bewog
die Kurfürsten, auf Vorschlag des Erzbischofs von Mainz den ritterlichen Adolf von Nassau
zum König zu wählen. Vor der Wahl hatten die Kurfürsten von Mainz und Köln sich
Städte- und Ländergebiete versprechen lassen, über die der König gar kein Recht hatte.
Als dieser nun seine Versprechungen nicht halten konnte oder wollte, sah er sich bald
von seinen ehemaligen Freunden verlassen und gehaßt. Dazu kam, daß er, gjeich den
Habsburgern, mit allen Mitteln nach Vergrößerung seines kleinen Gebiets strebte. Da¬
durch wurde die Bildung einer Gegenpartei unter Albrecht von Österreich sehr erleichtert.
Es kam zur Entscheidung durch die Waffen. Bei Göllheim am Donnersberg kam es
(1298) zur Schlacht, bei der Adolf das Leben verlor.
20. Albrecht I. (1298—1808). Die Schweizer Eidgenossenschaft.
Albrecht I., der älteste Sohn Rudolfs von Habsburg, war ein thatkräftiger und
entschlossener Mann. Die Pläne seines Vaters, Gründung einer Erbmonarchie
und Befestigung der habsburgischen Hausmacht, verfolgte er mit großer Entschiedenheit.
Seine ganze Regierungszeit ist deshalb erfüllt mit Kämpfen gegen Holland, Burgund,
Böhmen und Thüringen. Doch hatte er im ganzen wenig Erfolg. Als Vormund
seines Neffen Johann von Schwaben hatte er diesem sein väterliches Erbe vorent¬
halten. Obgleich ihn der Jüngling mehrmals darum bat, so vertröstete er ihn immer
wieder auf die Zukunst. Da erwachte tiefer Groll in dessen Herzen. Er verband sich
mit einigen seiner Freunde und — als Albrecht in einem Kahn über die Reuß setzte,
fielen die Verschworenen über ihn her und ermordeten ihn angesichts seiner Stammburg.
Gründung der Schweizer Eidgenossenschaft. Tellsage. Die Grafen von
Habsburg übten im Namen des Reichs die Schirmvogtei über die Landschaften am Vier¬
waldstätter See: Schwyz, IM und Unterwalden. Albrecht, damit nicht zufrieden, be¬
schloß diese Gebiete an sein Hans zu bringen. Da die freiheitsliebenden Schweizer sich
seinen Wünschen nicht fügten, so schickte er Vögte ins Land, welche das Volk auf jede
mögliche Weise drückten und quälten. Unter diesen thaten sich besonders Geßler und
Landenberg hervor. Da der Übermut dieser Vögte immer unerträglicher wurde, so
kamen 33 Männer auf einer einsamen Waldwiese, dem Rütli, zusammen und schwuren,
ihr Vaterland von der Tyrannei zu befreien. Geßler wurde immer kühner, er ließ,
wie die Sage erzählt, in Altorf auf einer hohen Stange einen Hut ausrichten und ge¬
bot, daß jeder Vorübergehende demselben Ehrfurcht erweisen solle. Der Schütze Wil¬
helm Tell weigerte sich dessen und wurde ergriffen. Zur Strafe gebot ihm Geßler, einen
Apfel vom Haupte feines Knaben zu schießen. Tell vollbrachte dieses Wagstück. Aus Be¬
fragen nach dem Zwecke des zweiten Pfeils, den er feinem Köcher entnommen, erwiderte
Tell: „Hätte ich mit dem ersten Pfeil mein Kind verletzt, fo hätte der zweite dein Herz
nicht verfehlt!" Tell wurde hierauf in ein Schiff gebracht, um nach Küßnacht ins Ge-