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rote Kreuz im Winde flattert, da ist mitten im Kriege des Friedens
Stätte. Hier ist neutraler Boden, hier ist kein Feind zu suchen.
und Pflegende stehen mit Eigentum und Leben unter seinem
chutze.
Unsere Zeit darf sich gottlob früheren Jahrhunderten gegenüber
mancher Fortschritte auf dem Wege der Menschlichkeit rühmen; trotz
aller ihrer Gebrechen steht sie in wahrer Humanität und werktätiger
Frömmigkeit der so oft gerühmten „guten alten Zeit“ weit voran.
Diesen Sieg aber, den der Geist brüderlicher Liebe im Jahre 1864
mit dem Abschluß der sogenannten Genfer Konvention errungen hat,
darf sie sich mit Recht zu hoher Ehre anrechnen. Mögen die Schrecken
des Krieges nun in Europa toben, wo es auch sei, der kranke Soldat,
sein Pfleger und sein Arzt ist für den Feind kein Gegenstand der
Bekämpfung. Das rote Kreuz ist ihr Schutz.
Viel, sehr viel ist damit für die Pflege der Verwundeten im
Kriege erreicht, aber es wäre im Grunde doch nur wenig, wenn unter
jenem Kreuze sich nicht zugleich auch diejenigen scharen würden, für
die der Soldat in den schweren Kampf hinauszieht.
Zu allen Zeiten hat sich die nicht kämpfende Bevölkerung in der
Heimat des Kriegers und namentlich des Verwundeten angenommen,
so gut es ging Aber einer solch allgemeinen Teilnahme an seinem
Wohle, eines solch rastlosen Sorgens für diejenigen Bedürfnisse, deren
Befriedigung der Soldat nicht füglich von der Heeresverwaltung er—
warten konnte, wie sie sich im letzten Kriege in Stadt und Dorf bei
uns gezeigt hat, können sich frühere Zeiten nicht rühmen. Mögen die
Herzen auch zu allen Opfern bereit gewesen sein, so fehlte es jedenfalls
an einem geordneten Zusammenwirken der willigen Kräfte, das allein
einen erfreulichen Erfolg gewährt. Das rote Kreuz aber hat die ein—
zelnen Bächlein aufopfernder Liebe gesammelt und zu einem stattlichen
Strom zu vereinigen gewußt. Allerdings ist manches Tröpflein nutzlos
im Sande verdunstet allerdings ist für etwa, was der Allmächtige
verhüten wolle, später kommende Kriege hierin noch sehr viel zu ver⸗
bessern. Aber gleichwohl hat das stille Heer in der Heimat, mit dem
Näh⸗ und Strickzeug oder mit dem Arzneifläschchen in der Hand, im
gewöhnlichen Bürgerkleide wie im ernsten Ordensgewande, am Schmer⸗
zens⸗ und Sterbelager des Verwundeten wie an dem zur Erquickung
der durchziehenden Mannschaften bestimmten Kredenztisch, manch auf—
richtiges Vergelt's Gott“ verdient und erhalten. Die Opferwilligkeit,
von vielen hohen Häuptern des Vaterlandes aufs schönste geübt und
ermuntert, durchdrang alle Stände und öffnete selbst die Hände derer,
die ihr Brot unter Mühe und Anstrengung im herben Schweiße ihres
Angesichts verdienen mußten. Als nach der Schlacht von Wörth ein
allerdings kaum gerechtfertigter Notschrei die nahen Bewohner des
rechten Rheinufers zur schleunigsten Sendung von Lebensmitteln in
die angeblich von allem Notwendigen entblößte Gegend des Kriegs