Full text: Geschichte des Altertums, des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit (Teil 2)

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führen und Bündnisse schließen; dagegen durfte der Kaiser fortan 
ohne Einwilligung des Reichstags kein Gesetz erlassen, keinen Krieg 
erklären, kein Bündnis schließen. 
(Zustand des Reiches im Jahre 1648.) 1. Durch diese Be¬ 
stimmungen war der Einfluß des Kaisers auf die Reichsgeschäfte 
völlig zerstört; aber auch die Kurfürsten teilten nun ihre Vorrechte 
mit den übrigen Reichsständen — es gab ihrer 390 — deren Ver¬ 
treter auf dem Reichstage Sitz und Stimme hatten. Die Fürsten 
unterhielten von den regelmäßigen Steuern der Unterthanen stehende 
Heere, die Gerichte wurden durch Beamte des Landesherrn verwaltet; 
die Freiheit mit sremden Mächten in diplomatischen Verkehr zu treten 
gab zur Einmischung fremder Jntereffen in deutsche Angelegenheiten 
verdrießlichen Anlaß. 
2. Im 16. Jahrhundert war der Deutsche im Auslande hoch 
geachtet, sogar als stolz verschrieen gewesen. Er hatte ein Recht gehabt 
stolz zu sein: Handel und Gewerbe, Kunst und Wissenschaft blühten 
in seinem Vaterlande. Jetzt war alles anders geworden. Was über 
die nötigsten Bedürfnisse hinausging, war bürgerlichen Kreisen un¬ 
erschwinglich; vielfach war das Notwendigste nicht mehr zu beschaffen. 
Einheimische und fremde Kriegsvölker hatten die Städte und Dörfer 
vernichtet; die Einwohner waren Soldaten geworden und im Kriege 
umgekommen, der Pflug stand entblößt, die Felder wandelten sich in 
Wüsteneien, und wer in dem öden Dorfe zurückblieb, war dem Hunger¬ 
tode ausgesetzt. Der Schwede Bauer schrieb 1638 au die belagerte 
Stadt Erfurt, schon längst hätte er ihr Hilfe gebracht, wenn nicht 
zwischen Oder und Elbe alles so verwüstet wäre, daß dort weder 
Huude noch Katzen, geschweige denn Menschen und Pferde sich aufhalten 
könnten. Man nimmt an, daß zwei Drittel der Einwohner des Reichs 
zu Grunde gingen, der Verlust an Schlacht- und Zugvieh wird auf 
80o/o berechnet. 
3. Auch in sittlicher Beziehung war das Volk gesunken. Die 
Unsicherheit des Besitzes hatte die Begriffe von Mein und Dein stark 
gelockert; die Not lehrte nicht nur beten, sondern auch stehlen. Die 
Soldaten kämpften nicht für die Sache des Kaisers oder des Glaubens; 
sie suchten Beute und Ehre. Das regellose Kriegsleben machte die 
Sitten roh, die Gesinnung grausam; der Schwache und Wehrlose war 
der zügellosen Willkür der kriegerischen Horden ausgesetzt, die sich in 
der Erfindung von Qualen und Martern übertrafen. Die Franzosen, 
die zum ersten Male mit den Deutschen m längeren Verkehr traten, 
brachten ihre Sprache, ihre Moden, ihre Laster nach Deutschland,
	        
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