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von dem rauschenden Treiben am väterlichen Hofe fühlte sich das
stille Gemüt des Kronprinzen abgestoßen, es gab keinen, dem er es er¬
schließen, dem er vertrauen konnte. Man versäumte, ihm einen Ein¬
blick in die Staatsverwaltung zu gewähren, hielt ihn von Geschäften
fern, versäumte, sein Auge für politische Verwickelungen zu schärfen.
Als der 27jährige die Regierung antrat, stand er vor einer Aufgabe,
die er nicht zu überschauen, viel weniger zu lösen verstand. Noch
lebten die Männer, die im Felde oder im Kabinett an der Größe des
sridericianischen Staates gearbeitet hatten; sie waren von dieser Größe
so überzeugt, daß jeder Gedanke an eine Veränderung ihnen lächerlich
erschien. Und doch hätte sich Preußen den Forderungen der Zeit, wie
sie zuerst in Frankreich ausgesprochen waren, z. B. einer gerechten
Steuerverteilung nicht verschließen, an den Erfahrungen der neuesten
Feldzüge Östreichs ober Frankreichs nicht vorbeigehen dürfen. Wenn
auch ber König bie Notwenbigkeit erkannte, in diese Bahnen einzu¬
lenken, so erlahmte seine bessere Einsicht an den Klüglingen in seiner
Umgebung, deren vermeintlicher Erfahrung er sich willig unterordnete.
Wie dankbar war man schon, als das Wöllnersche Religionsedikt auf¬
gehoben wurde, von dem Friedrich Wilhelm meinte, daß vor feinem
Erlaß gewiß mehr Religion und weniger Heuchelei im Lande gewesen;
als die „unwissenden, faulen oder verkäuflichen Staatsdiener" mit
Absetzung bedroht, die adligen Offiziere gewarnt wurden, die Bürger
zu „brüskieren — die Bürger sind es, nicht ich, die die Armee unter¬
halten"! Wohlstand und Bildung nahmen während der Friedenszeit
zu, der Ackerbau hob sich, der Hos legte das schimmernde Festgewand
ab, mit dem es unter dem vorigen Könige beständig geprunkt, einfache
Sitte, ein ehrbarer Ton traten wieder in ihr altes Recht und ver¬
breiteten sich über Adel und Bürgerschaft. — Im März 1793, im
Feldlager, sah der Kronprinz die Prinzessin Luise von Mecklenburg-
Strelitz zum ersten Male, und ihre Schönheit, ihr mildes, ein¬
nehmendes Wesen bezauberten ihn. Am 24. Dezember wurde in
Berlin die Vermählung gefeiert. Bald hatte die Kronprinzessin durch
ihre Freundlichkeit, ihre Mildthätigkeit, besonders durch die der Etikette
fürstlicher Ehen damaliger Zeit völlig zuwider laufende Herzlichkeit
im Verkehr der Gatten und die schlichte Einfachheit ihres Haushalts
die Herzen der Berliner gewonnen. Im Winter lebte das kronpriuz-
liche Paar in Berlin, den Sommer brachte es in dem Haveldorf Paretz
oder auf der Pfaueninfel zu. Als 1795 der erste Prinz, Friedrich
Wilhelm, und zwei Jahre später ein zweiter, Wilhelm (später Kaiser
Wilhelm) geboren waren, gaben die glücklichen Eltern ihren Unter-