104. Wenzel.
535
Herzöge von Oesterreich blieb, bis ihm durch nachlässige Bewachung die
Flucht erleichtert wurde. Da Sigmund die Böhmen übermäßig mit
Steuern gedrückt hatte, so wurde die Nachricht von Wenzel's Flucht
und Wiederantritt der Regierung (Ende 1403) überall mit Jubel aus¬
genommen. Doch bemerkte man seitdem nicht selten an ihm Ausbrüche
von grausamer, fast wahnsinniger Handlungsweise, wahrscheinlich eine
Folge der häufigen Trunkenheit, welcher Wenzel sich erst seit seinem
Aufenthalte in Wien ergab, vielleicht zugleich hervorgegangen ans einer
gewissen Menschenverachtung in Folge der vielen Treulosigkeiten, die er
erfahren hatte. So wird berichtet, daß Wenzel einen Koch, der ihm
schlechte Speisen bereitete, hätte am Spieße beim Feuer wollen braten
lassen; daß er dem Scharfrichter, den er häufig um sich gehabt, mit
eigener Hand den Kopf abgeschlagen, weil derselbe seine Befehle allzu
willfährig befolgt hatte. Wenzel wußte selbst, daß er grausam war;
als er eines Tages irgendwo die Worte angeschrieben fand: „Wenzel
ein zweiter Nero," so schrieb er darunter: „Wenn ich noch nicht einer
war, so werde ich einer werden." Da aber die Grausamkeiten Wenzel's
nicht die Gesammtheit des böhmischen Volkes trafen, sondern nur mei¬
stens einzelne Personen, die zur Dienerschaft des Königs gehörten, und
er im Ganzen gerecht und milde regierte, so besaß er doch die Anhäng¬
lichkeit der Böhmen, besonders nachdem sie die drückende und strenge
Regierung Sigmund's anderthalb Jahr empfunden hatten.
Sein Gegner Ruprecht verlor an Ansehen in Deutschland immer
mehr. Als er einige Raubschlösser in der Wetterau zerstörte, welche
mainzischen Vasallen gehörten, stiftete der dadurch beleidigte Erzbischof
Johann von Mainz, der seine Erhebung veranlaßt hatte, gegen ihn ein
Bündniß zu Marbach (1405) mit den Fürsten und Städten, die Be¬
schwerden gegen Ruprecht hatten — gerade wie 100 Jahre früher der
Erzbischof Gerhard von Mainz den Kaiser Albrecht erhoben hatte und
wieder absetzen wollte. Das Bündniß war dem Namen nach zu Er¬
haltung des Landfriedens unter den Verbündeten, der Wahrheit nach
aber gegen König Ruprecht errichtet, der sich zuletzt genöthigt sah, das
gegen ihn geschlossene Bündniß zu bestätigen.
Zu dieser Abnahme des Ansehens Ruprecht's, welche noch mehr be¬
schleunigt worden, wenn Wenzel Energie entwickelt hätte, kamen noch
die verwickelten kirchlichen Verhältnisse der Zeit, wobei Ruprecht in Nach¬
theil kam, er mochte einen Entschluß ergreifen, welchen er auch immer
wollte. Nach dem Tode des in Rom residirenden Papstes Bonisazius IX.
1404 versäumte man den günstigen Augenblick, die Einheit in der Kirche
wieder herzustellen, eben so wie nach dem Tode von dessen Nachfolger
Jnnocenz VII. 1406, da diesem Angelo Corrario, ein Venetianer, als
Gregor XII. zum Nachfolger gewählt wurde. Ruprecht konnte nicht
gegen Gregor XII. sein, da dessen Vorgänger Bonisazius IX. ihn als
römischen König bestätigt hatte; gab er diesen auf, so verlor er
seine letzte Stütze; erklärte er sich für ihn, so Hintertrieb er die
Beilegung der Kirchenspaltung. Er wollte lieber letzteres thun, als