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Lieder und bezeichneten sie als „teuflische Gesänge und Zauberlieder", die das
Christentum beeinträchtigten.
Heldensagen. Zur Zeit der Völkerwanderung bildete sich eine Menge
von deutschen Heldensagen, die sich an hervorragende Personen knüpften.
Wir nennen die Sagen von Siegfried dem Drachentöter, von Dietrich
von Bern (Verona) oder Theodorich dem Großen und vom König Etzel oder
Attila. Im 6. Jahrhundert hatte sich die Sangeskunst schon so ausgebildet,
daß oft Sänger jener Zeit erwähnt werden, die ihre Lieder unter Begleitung der
Harfe vortrugen. Als einzigen Überrest der Heldengesänge aus der Zeit bis 800
besitzen wir ein Bruchstück des Hildebrandsliedes. In diesem Gedicht
wird der Zweikampf des alten Hildebrand mit seinem Sohne Hadn-
brand besungen. Der Inhalt ist folgender: Nachdem der Vater 30 Jahre
lang fern von der Heimat gewesen, trifft er bei der Rückkehr feinen Sohn; doch
beide kennen sich nicht. Als der Vater erfährt, daß Hadubrand vor ihm stehe,
nennt er seinen eigenen Namen. Der Sohn aber spricht ungläubig: „Tot ist
mein Vater Hildebrand!" Daraus beginnt zum großen Schmerze des Vaters
der Kamps mit Eschenlanzen und Streitäxten. Hier bricht das Gedicht ab.
Geistliche Dichtung. Aus dem neunten Jahrhundert sind uns verschiedene
Kunstdichtungen geistlichen Inhalts überliefert. Zu diesen gehören: 1. Der
H eliand (Heiland) oder die altsächsische Evangelienharmonie. Sie enthält die
poetische Bearbeitung und Verschmelzung der Evangelien in niederdeutscher
Sprache von einem unbekannten Dichter sächsischen Stammes. Christus wird
so dargestellt, als ob er unter den Sachsen in Deutschland aufträte. Er erscheint
als ein gewaltiger Völkerfürst, der, umgeben von seinen Getreuen, mit einem Ge¬
folge von unzählbaren Scharen umherzieht, um die reichen Gaben des ewigen
Lebens auszuteilen. Wie der Herr die Bergpredigt beginnt, wird hier ganz in
den großartigen Formen, in welchen die Beratung der deutschen Könige mit ihren
Fürsten im Angesichte des Heeres und Volkes vor sich ging, etwa so erzählt:
„Näher um den waltenden Herrn, um das Friedekind Gottes, stehen die weisen
Mannen, die der Gottessohn sich selbst erkor; weiter hinab liegen die Scharen
der Völker. Mild in seinem Gemüte, tat er seinen Mund auf und lehrte:
„Selig sind bie, die in dieser Welt arm sind durch Demut; denn Gott wird ihnen
in der Himmelsaue das unvergängliche Leben geben usw." — Das Gedicht,
in alliterierender*) Form geschrieben, ist voll Wärme, Leben und Einfachheit. —
2. Eiu anderes Gedicht, genannt der K r i st, ist von dem Mönch O t s r i e d
Zu Weißenburg verfaßt und behandelt denselben heiligen Gegenstand in alt¬
hochdeutscher Sprache. An Stelle der Alliteration tritt jedoch der Reim.
Diese Evangelienharmonie ist zugleich das maßgebende Reimwerk aller folgen¬
den Jahrhunderte und enthält die Grundregeln unserer deutschen Verslehre.
Die Zeit der sächsischen Kaiser.
21. Heinrich I. 919—936.
Heinrichs Gestalt, Eigenschaften und Namen. Heinrich war von
männlich schöner Gestalt. Mut und Frömmigkeit waren ihm in hohem Grade
*) alliterieren = Stabreime bilden; Alliteration = Bnchstabengleich-
Aang, Stabreim.