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die Herkules mit sich führe; besonders aber rühmte er die Schön¬ 
heit der gefangenen Königstochter Jole, und in dem Lobe derselben 
konnte er sich gar nicht genug thun. 
Da entstand in Dejanira die Befürchtung, daß Jole ihr ihres 
Gatten Liebe entwenden könnte, und sie dachte wieder an das Blut, 
von dem ihr der Centaur gesagt hatte, daß es ihr die Liebe ihres 
Gemahls zu bewahren vermöge. Sie nahm daher ein schönes wol¬ 
lenes Untergewand, tränkte es mit dem aufbewahrten Blute und 
gab es dem Boten, daß er es Herkules entgegentrage und ihn bitte, 
es bei dem Opfer anzulegen. 
Beruhigt erwartete sie nun des Gemahls Heimkehr. Endlich 
kam ihr Sohn Hpllus, der den Vater auf dem Kriegszuge begleitet 
hatte. Schon von ferne rief er der Mutter zu: „O, Mutter, ich 
wollte, du hättest nie gelebt, oder die Götter hätten dir einen an¬ 
dern Sinn ins Herz gelegt." Erschrocken frug Dejanira, was ge¬ 
schehen sei, und der Sohn erwiderte: „Ich komme vom Vorgebirge 
Cenäum, wo mein Vater dem Zeus ein Opfer brachte. Ihn hast 
du ermordet mit dem verfluchten, mörderischen Gewände, das du 
ihm durch seinen Boten sendetest. Kaum hatte er es angelegt, als 
es wie von einem Schmiede angelötet an seinem Körper festklebte. 
Als fräße eine giftige Natter an seinem Leibe, so schrie der Ge¬ 
quälte, bald wälzte er sich an dem Boden, bald sprang er heulend 
wieder aus und versuchte, das Gewand, das wie glühendes Erz an 
seinem Leibe brannte, herabzureißen. Umsonst, es schmiegte sich un- 
ablösbar wie eine zweite Haut an seine Glieder und er konnte nur 
sich selbst zerfleischen. In diesem jammervollen Zustande, aus tau¬ 
send Wunden blutend, haben wir den Helden in einem Nachen hier¬ 
her gebracht, wo er bald den Ehebund mit dir verflucht, bald seine 
Freunde bittet, ihn zu töten und so von seinen Qualen zu erlösen." 
Sprachlos vor Schrecken hörte Dejanira, was ihr Sohn be¬ 
richtete. Nachdem sie endlich vermocht hatte, dem Sohne zu er¬ 
zählen, welche Absicht sie bei der Übersendung des Unterkleides 
gehabt habe, und wie sie von dem Centaur selbst getäuscht sein 
müsse, ging sie in ihr Schlafgemach und warf sich weinend auf das 
Lager. Als aber der Sohn ihr dahin nacheilte, weil es ihm leid 
that, daß er sie mit Unrecht so gescholten hatte, fand er sie von 
einem Schwerte durchbohrt. 
Auch Herkules ward milder gestimmt, als er erfuhr, daß ein 
unglückliches Verhängnis über ihm waltete und nicht der böse Wille 
seiner Gattin ihm so grenzenlose Pein zugefügt hatte. Er verlobte 
seinen Sohn Hyllus mit der gefangenen Jungfrau Jole, und weil 
ein Orakel verkündet hatte, daß Herkules aus dem Berge Ota 
sterben müsse, so ließ er sich trotz seiner Qualen auf den Gipfel 
des Berges bringen.
	        
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