Prometheus
Als das uralte Göttergeschlecht der Titanen durch Zeus vom
Throne gestoßen war und dieser selbst als der Beherrscher der
Welt aus dem Olymp seinen Thron aufgeschlagen hatte, grünte
und blühte es auf der Erde von allerlei Bäumen, Kräutern und
Blumen; Tiere aller Arten tummelten sich auf dem festen Lande,
im Wasser und in den Lüften; aber es gab noch keine Menschen.
Da stieg Prometheus, zur Erde nieder, ein Sohn jenes Götter¬
geschlechts, das Zeus entthront hatte. Er hatte, als der Kampf
unter den Göttern begann, zunächst auf der Seite der Titanen ge¬
standen und ihnen klugen Rat gegeben, weil seine Mutter Themis
ihm verkündigt hatte, daß der Sieg in dem Kampfe der Götter
nicht durch Kraft und Gewalt, sondern nur durch List und Klug¬
heit könne errungen werden. Aber obgleich Prometheus den Tita¬
nen das alles gesagt hatte, hatten sie doch ans ihre Macht getrotzt
und List und Klugheit verschmäht. Da war Prometheus freiwillig
auf die Seite des Zeus getreten, der ihn gern aufnahm, und in¬
folge seines Rates war der vorige Beherrscher der Welt, Kronos,
mit seinem ganzen Anhänge in den dunklen Abgrund des Tartarus
gestürzt worden.
Nach dem Siege des neuen Göttergeschlechts war es also, als
Prometheus zur Erde Herabstieg und beschloß, auf ihr Wesen zu
erschaffen, die den Göttern ähnlich wären und in denen ein Geist
wohnen und wirken könnte. Darum knetete er Thon mit Wasser
und formte daraus kunstvolle Gebilde, die an Gestalt den Göttern
glichen, und von allen Tieren nahm er gute und böse Eigenschaften
und schloß sie in die Brust der neuen Wesen ein. Als Minerva,
des Zeus Tochter und die Göttin der Weisheit, diese Wesen sah,
hatte sie ihre Freude an ihnen, und auf Prometheus Bitte hauchte
sie ihnen den göttlichen Odem, den Geist ein.
So waren die ersten Menschen entstanden. Bald vermehrten
sie sich und bevölkerten die Erde. Aber sie wußten noch nicht, wie
sie sich ihrer Glieder und ihres Geistes bedienen sollten. Mit offe¬
nen Augen waren sie blind, mit offenen Ohren taub, wie im
Traume wirrten sie alles blindlings untereinander. Sie verstan-