Full text: Vom Beginn des Dreißigjährigen Krieges bis zum Tode Wilhelms I. (Teil 2)

§ 99. Österreich unter Maria Theresia und Joseph II. 
93 
Klopstock in einer an den Kaiser gerichteten Ode: „Du machest 511m 
Untertanen den jochbeladenen Landmann." Geleitet von dem Ge¬ 
danken, daß alle Untertanen gleichberechtigt vor dem unbestechlichen 
Gesetze seien, reformierte Joseph auch die Rechtspflege, hob die 
Steuerprivilegien des Adels auf und verteilte die Staatslasten nach 
Maßgabe des vorhandenen Grundbesitzes. Was er bei seinen bürger¬ 
lichen Reformen als Ideal unverrückt im Auge behielt, das war: er 
wollte alle seine Erbstaaten von Belgien bis nach Siebenbürgen ohne 
Rücksicht auf ihre Zusammensetzung und historischen Grundlagen zu 
einem starken Einheitsstaat zusammenfassen, in welchem es keinen 
Unterschied der Gesetze und Einrichtungen gebe und in welchem auch 
allmählich der Gegensatz der Nationalitäten, Sitten und der Sprache 
schwinde. Um die Verschmelzung der einzelnen ans verschiedenen 
Kulturstufen stehenden Volksstämme anzubahnen, übertrug er ohne 
weiteres die für Österreich geschaffenen Reformen auch auf Ungarn 
und Belgien und ging im Eifer des Zentralifierens sogar soweit, daß 
er an Stelle der bisher üblichen lateinischen Sprache die deutsche 
als gemeinsame Amtssprache setzte, ohne deren Kenntnis niemand 
Beamter oder Abgeordneter werden konnte. 
6. Allein diese jähe Durchbrechung aller Tradition erzeugte, so cwofition in 
gut sie auch gemeint war, die stärkste Erbitterung. Man fühlte sie Xtglen" 
als einen unberechtigten Angriff anf die Nationalität und auf gewisse 
Privilegien und forderte die Beseitigung aller Neuerungen. Ein Sturm 
der Entrüstung ging durch die unter dem österreichischen Zepter ver¬ 
einigten Stämme. In Ungarn drohten Adel, Geistlichkeit und die 
von denselben aufgestachelten Massen mit dem Abfall und in Belgien 
kam es zur offenen Empörnng, welche nach Überwindung der kaiser¬ 
lichen Truppen in ihrem Verlaufe zur Losreißuug des Landes von 
der österreichischen Dynastie führte (1790). Machtlos stand der Kaiser 
solchen revolutionären Bewegungen gegenüber. Damit nicht noch 
weiteres Unheil eintrete, nahm er 1790 die meisten seiner Reformen 
zurück. Nur das Toleranzedikt und die über die Leibeigenschaft ge¬ 
troffenen Verfügungen blieben bestehen. 
7. Mit tiefem Schmerze sah Joseph den Zusammenbruch seines Josephs Tod 
Werkes, mit dessen Durchführung er in reinster Absicht seinen Unter¬ 
tanen nur Wohltaten erweisen wollte. Das Bewußtsein, „er habe 
das Unglück gehabt, alle seine Entwürse scheitern zu sehen," knickte 
seine Seele. „Der gefrönte Idealist" starb am 20. Februar 1790. 
Das Volk atmete auf; später aber erkannte es den schweren Verlust. 
Auf dem ehernen Standbild des Kaisers im Hose der Burg in Wien 
befindet sich die Inschrift: „Joseph II., welcher für die Wohlfahrt des 
Staates nicht lange lebte, aber ganz."
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.