Full text: Geschichte des Mittelalters (Teil 2)

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Die Völkerwanderung. 
den Schild, und als Pannonien für das rasch wachsende Volk zu eng 
wurde, führte er es im Auftrag des oströmischen Kaisers samt seinen 
Herden stattlicher Rinder durch die winterlichen Alpentäler der Save 
und des Isonzo nach Italien; nach dreijährigen Kämpfen bewältigte 
493 er Odoaker und erstach ihn zu Ravenna bei einem Gastmahle, zu 
dem er ihn eingeladen hatte. „Wo ist Gott?" rief der Sterbende. 
Ich tue dir, wie du den Meinen getan hast," antwortete Theoderich. 
* * Seinen ersten Sieg über Odoaker hatte Theoderich bei Verona 
(„Bern") erfochten: davon erhielt er in der Sage den Namen Dietrich 
von Bern. Ein blutig zurückgeschlagener Ausfall Odoakers aus dem 
fast uneinnehmbaren Ravenna lebte in der Sage von der „Raben¬ 
schlacht" lange fort. 
Flüchtige Römer gründeten auf Fischer-Inseln der Küste kleine 
Gemeinden; daraus ist die Stadt Venedig erwachsen. Ausfuhr von 
□ Seesalz und Einfuhr von Seide bildeten den Anfang ihres Handels.^ 
5. Unangefochten beherrschte Theoderich ein ganzes Menschenalter 
Italien samt den schönen Alpenländern, die durch die Donau von 
Regensburg bis Belgrad und durch das Adriatische Meer begrenzt 
werden, und dazu den Südosten Galliens. „Dem Namen nach ein 
Gewaltherrscher, in Wahrheit ein echter König", sagt ein feindlicher 
Geschichtschreiber. Sonst nahmen die Germanen im eroberten Lande 
zwei Dritteile des Ackerbodens; Theoderich begnügte sich mit einem, 
wie vor ihm Odoaker. Auf dem Reste lebten die Römer ungekränkt. 
Die Friedensämter, auch die höchsten, vertraute er ihnen; doch über¬ 
wachten seine Gotengrafen die Rechtspflege. 
Den Goten blieb die Waffenführung vorbehalten; ihre Knaben 
sollten nicht nach Römerart unterrichtet werden, damit ihnen nicht 
„bie Riemen der Schulmeister die Tapferkeit herausschlügen". Dagegen 
ließ er sie für den Feld- wie für den Festungsdienst sorglich ausbilden. 
Aus Goten und Römern sollte ein neues Volk erwachen. 
* *Die Rechtsprechung vollzog sich nach dem römischen Recht und 
Herkommen. Theoderichs Königsgericht war aber die höchste Be¬ 
rufungsstätte für Goten und Römer. Er hatte versprochen, er wolle die 
Römer mit Gerechtigkeit regieren und die römische Freiheit schützen. 
In der Tat war er dem Recht ein starker und unparteiischer Schirm¬ 
herr. Die „(manischen"*) Goten und die katholischen Römer zwang 
*) S. 36. (III 15.)
	        
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