Full text: Neuzeitliche Weltgeschichte der Weltmächte

— 85 — 
deutschen Ausfuhrhandels über See einen ungeheuern Nutzen versprechen. 
So frevelhaft das auch ist und wäre, so lehrt uns doch die Geschichte 
Englands, daß dies nicht zaudert, einen unbequemen und rührigen 
Nebenbuhler zu vernichten. Es kann sich eben noch nicht zu dem Grundsatz 
bekennen: Deutschland ist gleichberechtigt nicht bloß zu Lande, sondern 
auch zu Wasser, im Welthandel, in der Kolonialpolitik, in der Weltpolitrk. 
Einen triftigen Grund zu diesem Vernichtungskriege gibt es aller¬ 
dings nicht. Die Erde bietet Raum für die Briten wie für die Deut¬ 
schen. Wir aber sind mehr auf das Festland von Europa angewiesen 
und unsre Zukunft liegt nicht in _ dem Sinne wie für England auf dem 
Wasser, sondern einzig und allein auf dem Lande, auf der Sicherung 
unserer Grenzen und vor allem auch der Grenzen unseres deutschen 
Sprachgebietes. Möchte man das diesseit und jenseit des Kanals er¬ 
kennen und möchte man uns in London in unserer „deutschen" Politik 
keine Hemmnisse mehr bereiten wie einst! Doch muß Deutschland durch 
seine Flotte und seine Bündnisse so stark sein, daß es England jede 
Deutschfeindlichkeit verbieten kann. 
V. Rußland als Welt- und Kolonialmacht. 
1. Rußland als halbasiatischer Barbarenftaat. 
a) Die normannische Zeit. 
Rußlands Bevölkerung ist ein Gemisch sehr verschiedener Stämme 
und Rassen. Die Hauptmasse bilden Slawen verschiedener Art; die 
kräftigen, blonden Großrussen, mit Germanen und Finnen vermischt, 
bewohnen die Mitte, den Osten und Norden; die dunkleren Klein» 
russen oder Rutheuen, mit tatarischem Blute vermengt, sind im Süd¬ 
westen ansässig; die hellblonden Weißrussen haben den mittleren 
Westen inne. Im Nordwesten stoßen wir aus die finnisch-ugrischen oder 
ural-altaischen (finnisch-tatarischen oder turanischen) Finnen, Karelier, 
Esten und Liven, denen sich im Norden die Lappen, Ostjaken usw. 
zugesellen. In den Ostseeprovinzen herrschen die Lettoslawen vor, 
die Litauer, Letten und Altpreußen. Im Süden und Südosten gibt 
es mancherlei Gruppen und Stämme der ural-altaischen Völkersamilie, 
wie die Chasareu, Polowzer, Wolgabulgaren usw. Bis zum 9. Jahr¬ 
hundert hatten die Slawen noch keine staatliche Ordnung geschaffen 
und sie zerfleischten sich daher in unaufhörlichen Fehden und Kämpfen 
und gerieten dadurch auch in Abhängigkeit von mächtigeren, kriegerischen 
Nachbarvölkern. Insbesondere herrschte zwischen den Finnen, Litauern 
und Slawen meist Kampf und Streit. Um sich der Finnen zu er¬ 
wehren, riefen um 860 slawische Fürsten am Jlmensee die normannischen 
Waräger aus Norwegen zu Hilfe. Sie blieben im Lande, bildeten 
den russischen Uradel und verschmolzen mit den Russen. Da sie vom
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.