Full text: Neuzeitliche Weltgeschichte der Weltmächte

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Stamme Ruß (-Ruderer) waren, so ging auch ihr Name auf die ihnen 
untertänigen Bewohner Mer. Ihr Führer Runs nahm Besitz von den 
Landschaften am Jlmensee und gründete das Großfürstentum Nowgorod. 
Es ward erweitert und erstreckte sich bis an den Ladogasee und Weißen 
See. Andere Waräger errichteten um Kiew einen zweiten Staat. Beide 
kamen dann unter einen Herrscher, welcher also über das Stromgebiet 
des Dniepr und über Nowgorod gebot, über ein Reich, das vom 
Finnischen Meerbusen bis ans Schwarzmeer reichte. Schon damals 
versuchte ein Warägerfürst, mit 3000 Segeln Byzanz zu erobern, aber 
vergebens. Da Kiew die Hauptstadt des russischen Reiches war, verlegte 
sich dessen Schwerpunkt mehr und mehr nach Süden und die Normannen 
verslawten ganz infolge fehlender Nachschübe. 
Noch waren die „Russen", die Großrussen, die Ostslawen, Heiden, 
obgleich sie schon seit langem mit dem christlichen Ostrom in engem 
Verkehr standen. Der Großfürst Wladimir I. der Große (980—1015) 
heiratete eine byzantinische Prinzessin und trat an seinem Hochzeitstage 
feierlich zum Christentum über (988). Darauf führte er den neuen, 
griechisch-katholischen Glauben mit Gewalt ein. Alle Ostslawen wurden 
so Anhänger des byzantinischen Glaubensbekenntnisses. Der gemeinsame 
griechische Glaube einigte sie dadurch und schuf eine Nationalkirche, 
die das festeste Band der Ostslawen und des rnssichen Reiches ward. 
Byzanz ward für Rußland, was Rom für Westeuropa geworden war 
und noch ward. Byzanz ward die christlichkirchliche, kulturliche, 
rechtliche, wissenschaftliche und künstlerische Heimat Rußlands. Kiew 
ward zum Abbilde Konstantinopels und erhielt 400 Kirchen, zahlreiche 
Klöster und andere stolze Bauwerke. Byzanz lieferte den Russen auch 
den Begriff des Alleinherrschertnms, der unbeschränkten Fürstengewalt 
über die Untertanen. Darum sammelte sich auch in Kiew das russische 
Staats- und Kulturleben. Es ward zum Haupthandelsplatze des Reiches 
und zum Hauptstapel des Warenzuges, der von Byzanz über den Dniepr 
nach Nowgorod ging. Ein volles Dutzend von Marktplätzen standen 
den Handelsherren aus Ungarn, Schweden, Deutschland, Holland usw. 
offen. Russisches Pelzwerk, Felle, Häute, Leder, Wachs wurden hier 
gegen ausländische Erzeugnisse eingetauscht. 
Als Wladimirs Sohn Jaroslaw 1054 starb, war Rußland der 
Ausdehnung nach das größte Reich Europas und stand in Handel 
und Bildung Westeuropa nicht wesentlich nach: ein Beweis für die 
staatenbildende und kulturerzeugende Kraft der Germanen auf slawischem 
Boden. Aber Teilungen mit ihren unaufhörlichen Thronstreitigkelten 
zerrütteten und schwächten das Reich. Es zerfiel in mehrere Teilfürsten¬ 
tümer, die unter den Ausständen der unterjochten Völker finnischen, 
türkischen, lettischen und slawischen Stammes zu leiden hatten. Dazu 
bekriegten sich Kiew und Susdal, das Fürstentum an der Wolga. 
Kiew unterlag und der Schwerpunkt Rußlands rückte weiter nach Osten,
	        
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