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Diesen geweihten Scharen folgten die Bürger im langen Zuge, ange>
führt von ihren Vorstehern, und die waffengerüsteten Jünglinge zu
Roß und zu Fuß machten den Beschluß. Dann wurde der Göttin
eine Hekatombe (hundert) Rinder geopfert, und eine große Speisung
des Volkes machte den Beschluß.
Phöbos Apollon war der Sohn des Zeus und der Leto, einer
der Gemahlinnen des Zeus, die man ursprünglich nur an bestimmten
Orten als solche verehrt hatte. Auf der unfruchtbaren Felseninsel Delos
wurde er, so erzählt die Sage, zugleich mit seiner Schwester Artemis
geboren. Apollon ist ein ernster und erhabener Gott. Sein Beiname
Phöbos bedeutet „der Reine". Er ist der Reine, der Lichtgeborene,
der Freund alles Schönen und der Rächer alles Unedlen. Pfeil und
Bogen sind seine Waffen, damit erlegt er die Ungeheuer, die Über¬
mütigen und sendet Seuchen in das Heer, dem er zürnt. Einst rühmte
sich Niobe, die Gemahlin des Königs Amphion von Theben, daß
sie stolzer sein könne als Leto, denn diese habe nur zwei Kinder, sie
aber habe sechs blühende Söhne und ebenso viele blühende Töchter.
Das erregte den Zorn Apollons und seiner Schwester Artemis. Mit
ihren Pfeilen töteten sie die Kinder der Niobe, Apollon die Söhne,
Artemis die Töchter. Die arme Mutter wurde von so furchtbarem
Schmerze ergriffen, daß Zeus sich ihrer erbarmte und sie in Stein
verwandelte. So kann man sie jetzt noch sehen auf dem einsamen
Gebirge Sipylos. Aus ihren Augen rinnen Bäche herab, das sind
die Thränen, die jetzt noch fließen.
Aber Apollon ist nicht nur ein Gott des Todes und Verderbens,
sondern auch ein Beschützer der Tapferen und Guten. Dem Faust¬
kämpfer, dem Bogenschützen ist er hold, und sein Sohn ist Asklepios,
der Gott der Heilkunde. Auch die Früchte des Feldes und die Tiere
im Walde beschützt er, besonders den Herden läßt er seinen Schutz zu
teil werden, er selbst hat die schönsten Rinder. Im Frühlinge feierte
man dem Apollon ein Fest, bei dem frohe Gesäuge, Päanen, die
größte Rolle spielten. Denn im Winter, sagte man, wohne der Gott
im äußersten Norden jenseit der kalten Nordwinde bei den fernen
Hyperboreern in einem Lande, wo ewig milde Lüfte wehen, aber im
Frühling komme er auf einem von Schwänen gezogenen Wagen wieder
in die griechische Heimat zurück.
Als Gott des Lichtes, das überall hindringt, ist Apollon auch der
Gott der Weissagung. In Delphi, ant Fuße des Parnassosgebirges,
hatte er seine Orakelstätte, dort verkündigte er durch den Mund einer
Priesterin, Pythia genannt, den Willen des Zeus. Dort in Delphi
stand ein alter Tempel, welcher von einem Drachen bewacht wurde, der