Full text: Die neueste Zeit (Teil 4)

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fische Volk aber traute ihm nicht. Selbst treue Anhänger des König¬ 
tums, die entschiedene Gegner der Revolution und Napoleons gewesen 
waren, wie der geistreiche Schriftsteller Chateaubriand, sprachen und 
schrieben gegen die Regierung. In der That begünstigte Karl X. den 
Adel und die Geistlichkeit in auffallender Weise. Die Emigranten aus 
der Revolutionszeit erhielten eine Geldentschädignng für ihre Verluste, 
die katholischen Geistlichen erlangten die außerordentliche Gewalt, alle 
sogenannten „Heiligtumsschänder", was in ihrem Sinne mit „Anders¬ 
gläubigen" ziemlich zusammenfiel, gleich Vatermördern zu verfolgen. 
Die Folge war, daß die Opposition bald auch in der Kammer lant wurde. 
Da beschloß Karl X., die widerspenstige Partei der Revolutionäre, mit 
der allein er im Widersprüche zn stehen meinte, durch Gewaltmaß- 
regeln zu zähmen. Er verabschiedete die bisherigen Minister nnd stellte 
einen der verhaßtesten Royalisten, Polignae, an die Spitze des neuen 
Ministeriums. Gleichzeitig aber, um die Aufmerksamkeit des Volkes von 
den inneren Angelegenheiten abzulenken, erklärte er dem Bey von 
Algier, der die französischen Seefahrer belästigte, den Krieg. Der 
Kriegsminister Bourmont, ein General aus Napoleons Zeit, der 
aber seinen Herrn in der Not verlassen hatte, leitete das Unternehmen. 
Die französischen Waffen waren siegreich, Algier ward erobert. Dieses 
Ereignis würde zu andrer Zeit der Regierung den lautesten Beifall 
des Volkes eingebracht haben, aber jetzt war die Nation so sehr mit 
inneren Angelegenheiten beschäftigt, daß sie darauf wenig achtete. Denn 
Karl X. unterzeichnete die berüchtigten drei Ordonnanzen, durch 
welche er die neugewählte Deputierteukarnrner, bevor sie noch zn- 
sammenbernfen worden war, auslöste, ein neues, den Großgrundbesitz 
übermäßig begünstigendes Wahlgesetz publizierte und für die Tages¬ 
blätter die Censur einführte. Am Abend des 27. Juli 1830 brach 
der Aufstand in Paris aus. Der König war in St. Clond, General 
Marnwnt hatte den Oberbefehl über die Truppen in der Hauptstadt; 
da aber viele Soldaten zum Volke übergingen, zog er auch nach 
St. Cloud ab. Nun erst nahm Karl X. die unglückseligen Ordonnanzen 
zurück uud entließ Polignae. Da er aber zögerte, ein neues, freisinniges 
Ministerium zn berufen, so setzten die Leiter der Bewegung, Casimir 
Perier, Gerard, Guizot, Lafitte, La Fayette und andere, eine provisorische 
Regierung ein, an deren Spitze Lafitte und La Fayette standen. Die 
nachträglichen Versprechungen Karls X. fanden kein Gehör, dagegen ver¬ 
handelte man mit dem Herzog von Orleans, dem Sohne des bekannten 
Philipp Egalite. Der Herzog hatte bis zum letzten Augenblick dem Könige
	        
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