Full text: Die neueste Zeit (Teil 4)

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und nach war diese Utopie, d. H. dieses Phantasiegebilde von einem 
glückseligen Staatsleben, zu einem System ausgebildet worden. Die 
Anhänger desselben verlangten eine gleichmäßigere Verteilung des Be¬ 
sitzes und der Arbeit zu Gunsten des untersten Standes und Aushebung 
aller Schranken, selbst die der Familie, im Interesse der absoluten 
Freiheit des einzelnen. Um diesen widerspruchsvollen und abenteuer¬ 
lichen Gedanken in den weitesten Kreisen der Arbeitenden Eingang zu 
verschaffen, forderten sie die Errichtung von Nationalwerkstätten, in 
denen alle Arbeitslosen Beschäftigung finden könnten. Der Haupt¬ 
sprecher der Partei war der Journalist Louis Blanc. 
Andere wieder, darunter viele Soldaten und solche, die im Heere 
gedient hatten, berauschten sich in der Erinnerung au die glorreichen 
Zeiten Napoleons. Merkwürdigerweise trug die Regierung selbst dazu 
bei, daß der Vergleich zwischen Vergangenheit und Gegenwart recht 
fühlbar ward. Im Jahr 1840 wurden Napoleons Gebeine von St. 
Helena abgeholt und nach Frankreich übergeführt. Ju einem pracht¬ 
vollen Sarkophage auf hohem Triumphwagen wurde der tote Kaiser 
durch die Champs Elysees nach dem Dom der Invaliden gebracht. 
Eine ungeheure Menschenmenge schloß sich dem feierlichen Zuge an, 
der das verblichene Bild der einstigen Große Frankreichs wieder in 
die hellsten Farben kleidete. Zwei Jahre später starb plötzlich der Thron¬ 
erbe, der Herzog von Orleans. Während des Fahrens gingen die 
Pferde durch, der Prinz wollte sich durch einen Sprung aus dem Wagen 
retten, glitt aber aus und wnrde so heftig auf das Pflaster geschleudert, 
daß er noch an demselben Tage verschied. Sein Sohn, der nun die 
nächste Anwartschaft auf den Thron hatte, war erst vier Jahre alt. 
Durch dieses schreckliche Ereignis wurde der Zusammenhang zwischen 
dem Hause Orleans und der Nation noch mehr gelockert, als es schon 
der Fall war. Ludwig Philipp setzte für den Fall seines Ablebens 
seinen zweiten Sohn, den Herzog von Nemours, als Regenten während 
der Minderjährigkeit des Thronerben ein, aber diese Wahl war keine 
glückliche, denn der Herzog entbehrte ganz der Beliebtheit. Ebenso 
wenig befriedigte die Ernennung Guizot's zum ersten Minister. 
Guizot war ein klarer, besonnener Denker und ein ausgezeichneter 
Redner, aber wenig biegsam in seinen Entschließungen. Wie der 
alternde König, so wollte auch er nichts vom Nachgeben wissen. Diese 
starre Zurückhaltung gab der Opposition in der Kammer und in den 
Vereinen eine Veranlassung zu außerordentlichen Anstrengungen; die 
Hauptgegner des Ministeriums waren Thiers, der seine Entlassung
	        
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