Full text: Die neueste Zeit (Teil 4)

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sich als Diener verkleidete. Trotzdem gelangte er mit seinen Begleitern 
unbemerkt aus dem Schlosse nnd in die Wagen. Ter schwedische Graf 
Axel von Fersen nahm die Stelle des Kutschers ein und brachte den 
Zng glücklich nach der nächsten Poststation. Ungehindert gelangten die 
hohen Reisenden nach Chalons a. d. Marne und nach St. Menehonld, 
aber hier wurden sie erkannt. Die Husarenpiquets, die seit 24 Stunden 
auf der Straße hin- und herritten, hatten die Bevölkerung argwöhnisch 
gemacht, der große Reisewagen und die Diener in glänzender Livree fielen 
auf, man staunte, drängte sich heran, nnd als der König unvorsichtiger Weise 
in St. Menehould, während die Pferde gewechselt wurden, das Wagenfenster 
in die Höhe schob, erkannte ihn der Sohn des Postmeisters, Dro net hieß 
er, indem er das Gesicht des Reisenden mit dem Bildnisse des Königs auf 
den Münzen verglich. Schnell ritt er mit einem Freunde voraus nach 
Varennes, um die über den Fluß Aire führende Brücke und damit die 
Straße nach Montmedy zu versperren. Als der königliche Zug an der 
Brücke ankam, hinderte ein umgeworfener Wagen die Weiterfahrt. Der 
Militärposten, welcher hier den König erwarten sollte, war nicht zur 
Hand, die Diener oder vielmehr als Diener verkleidete Gardes du 
Corps, hatten keine Waffen, und der König konnte sich zu einem raschen 
Entschlüsse nicht aufschwingen. Dagegen ritten zwei mit Flinten be¬ 
waffnete Männer an den Wagen heran und verlangten die Pässe zu 
sehen, es waren Dronet und sein Freund; der Gemeindevorstand, ein Ge¬ 
würzkrämer, kam auch hinzu, ersuchte die Reisenden aufzusteigen und 
lud sie ein, ihm in seine Wohnung zu folgen. Es war Abend, trotz¬ 
dem wuchs die Menge der Neugierigen vor dem Haufe. Die Sturm¬ 
glocke wurde geläutet, von allen Seiten eilten Nationalgarden herbei. 
Der König hatte den Versuch, unbekannt zu bleiben, ausgegeben, sich 
dem Gemeindevorstand entdeckt nnd bat nun, ihn ziehen zu lassen, er 
habe nichts gegen die Freiheit der Nation im Sinne und wolle nicht 
ins Ausland gehen. Vergebens! Offiziere, die in der Nähe kleine 
Reiterabteilungen befehligten, eilten herbei und boten ihre Hilfe an, 
sie wollten die königliche Familie in ihre Mitte nehmen und über den 
Fluß bringen, Ludwig XVI. konnte sich zn nichts entschließen. Morgens 
zwischen 5 und 6 Uhr kam eine Gesandtschaft aus Paris an und 
überbrachte den Befehl der Nationalversammlung, den König an¬ 
zuhalten und nach der Hauptstadt zurückzuführen. Die Pariser waren 
zwei Tage lang in nicht geringer Aufregung und Verlegenheit ge¬ 
wesen. Furcht, besonders auch vor einem gewaltsamen Eingreifen der 
auswärtigen Mächte, kleinmütige Verzagtheit derer, welche die Rache
	        
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