Full text: Die neueste Zeit (Teil 4)

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des Königs fürchten mußten, Trotz und Übermut wechselten miteinander 
ab. Die Königlichgesinnten (Royalisten) jubelten, aber auch die Piken¬ 
männer aus dem Arbeiterstadtviertel machten sich bemerkbar. Die 
Nationalversammlung nahm indes bald wieder eine feste Haltung an, 
und als am Abend des zweiten Tages die Verhinderung der Flucht 
bekannt wurde, erschien auch sofort das oben erwähnte Dekret. Eine 
Stunde, nachdem die Wagen mit der königlichen Familie, von einer 
ungeheuren Menschenmenge umgeben, in der Richtung nach Paris ab¬ 
gefahren waren, langte Bonille mit mehreren Reiterregimentern in 
Varennes an. Kaum hatten die Pferde den Parforeeritt bis dahin 
ausgehalten, sie waren zu erschöpft, als daß er hätte nacheilen und 
den Kampf mit den Nationalgarden aufnehmen können; mit tiefem 
Schmerz mußte der Getreue darauf verzichten, sein Leben für seinen 
Herrn zu wagen. Er kehrte um und begab sich in das Ausland. Un¬ 
weit Chalons kamen dem Zuge, der Ludwig in die Hauptstadt zurück¬ 
geleitete, drei Deputierte der Nationalversammlung entgegen, welche dem 
Könige das demütigende Dekret überreichten, es waren Latour-Maubourg, 
Barnave und Petion. Die beiden letzteren nahmen Platz im königlichen 
Wagen und brachten die Reisenden trotz verschiedener Versuche des 
Pöbels, sich heranzudrängen und die hohen Gefangenen zu beschimpfen, 
glücklich in die Tuilerien zurück. Baruave hatte durch sein ehrerbietiges 
Wesen während dieser Fahrt das Vertrauen des Königs und der Königin 
gewonnen und war fortan immer bemüht, ihnen durch seine Dienste 
zu nützen. Der Bruder des Königs, der Graf von Provence, entkam 
zu derselben Zeit nach Brüssel. 
Die Lage des Königs war nach dem unglücklichen Fluchtversuche 
noch schlimmer als vorher. Alle Thüren wurden von Nationalgardisten 
streng bewacht, kaum vermochten sich die Mitglieder der königlichen 
Familie auf kurze Zeit in Ruhe zu sprechen, ohne La Fayettes Be¬ 
willigung durfte niemand in das Schloß eintreten. In der National¬ 
versammlung herrschte noch Ratlosigkeit und Unentschiedenheit. Die 
Royalisten sahen mit Schadenfreude, daß die Zustände des Landes 
immer verworrener und unsichrer wurden, weil sie hofften, daß die 
Wiederherstellung einer mächtigen Regierung bald das dringendste Be¬ 
dürfnis werden würde, aber sie thaten nichts für den König, die Kon¬ 
stitutionellen glaubten, nichts für seine Befreiung thun zu dürfen, 
damit die Errungenschaften der Revolution nicht verloren gingen, die 
Radikalen und Republikaner wagten sich noch nicht hervor oder zogen 
sich bei der geringsten Gefahr zurück, aber sie wühlten im geheimen,
	        
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