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Heuren Reiche bevorstehe. Deutschlands Stellung dabei schien nicht zweifelhaft.
Inmitten der beiden furchtbaren Feinde gelegen, war es in Gefahr, von einem
derselben erdrückt zu werden; einem von beiden mußte es sich also unbedingt
anschließen. Der Rheinbund hatte einfach Napoleons Befehlen zu gehorchen.
In Österreich hielt man eine russische Übermacht in Europa für ebenso be¬
denklich wie die französische. Durch ein Bündnis mit dem großen Sieger und
durch die Niederwerfung Rußlands konnte man im Osten, in Galizien und
den Donanprovinzen, reiche Entschädigung für das in den Kriegen mit Frank¬
reich im Westen Verlorene erlangen. Nicht ungern schloß daher Kaiser Franz
mit Napoleon ein Bündnis, um das dieser sich lebhaft bemühte. Österreich
verpflichtete sich darin, 30 000 Mann Hilfstruppen für den russischen Feldzug
zu stellen. In eine geradezu furchtbare Lage aber kam Preußen. Friedrich
Wilhelm III. und Kaiser Alexander waren trotz der Treulosigkeit des letzteren
noch immer gute Freuude. Wollte Preußen sich einst von Napoleons Joch
befreien, so konnte dies bei dessen erdrückender Übermacht nur mit Hilfe Ru߬
lands geschehen. Auf ein Bündnis mit Rußland war also Preußen angewiesen,
und wirklich hofften auch alle patriotischen Männer Preußens auf ein solches.
Scharnhorst hatte 124 000 Mann bereit; die Festungen waren neu bewaffnet,
die Stimmung des Volkes vortrefflich. Mußte man untergehen, so konnte man
wenigstens mit Ehren fallen. Andererseits wartete Napoleon in feinem Haß
gegen Preußen nur auf eine paffende Gelegenheit, dies verhaßte Land ganz
von der Karte verschwinden zu lassen. Unterlag Rußland, so war Preußen,
vielleicht für immer, verloren. Diesem Zweifel, wem man sich anschließen
solle, machte Napoleon plötzlich ein Ende. Er trat gebieterisch mit der Forde¬
rung hervor, Preußen solle ein Bündnis mit ihm schließen, ihm 20 000 Mann
Hilfstruppen stellen, feinem Heere den Durchmarsch durch die preußischen Pro¬
vinzen gestatten, während des Durchmarsches die Verpflegung desselben über¬
nehmen und die Festungen wenigstens zum Teil ihm wieder einräumen.
Der Not gehorchend, schloß Friedrich Wilhelm dieses Bündnis gegen Rußland,
so hart und schwer auch die Bedingungen desselben waren. Damit brach die
letzte Hoffnung der preußischen Patrioten (Blücher, Scharnhorst, Gneifenan u. a.),
die im Bunde mit Rußland einen Kampf auf Tod und Leben um Preußens
und Deutschlands Unabhängigkeit erwartet hatten. Alle die Vorteile jahre¬
langer Kriegsrüstungen waren nun in die Hände des Feindes gegeben. Berlin
erhielt sogar eine französische Besatzung und einen französischen Befehlshaber,
da Napoleon einen Ausstand der Berliner fürchtete. Nur Potsdam, wo jetzt der
König wohnte, blieb frei. Und für alle diese neuen Opfer erhielt Preußen
nur das Versprechen, daß die Verpflegungskosten später vergütet werden sollten,
was jedoch niemals geschah, obgleich Preußen durch den Durchmarsch der großen
Armee einen Schaden von mehr als 300 Millionen Frank erlitt.