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sind noch immer im Wachsen begriffen und reißen Brücken und Stege fort.
Bei Anbruch der Nacht wirft sich die Reiterei noch einmal auf den fliehenden
Feind; der feindliche Knäuel von Infanterie, Reiterei und Kanonen wälzt sich
in wirrem Durcheinander dem steilen Bergabfall der wütenden Neiße zu; ver¬
gebens suchen die Flüchtigen Übergänge und Brücken über deu reißenden Fluß;
im Dunkel der Nacht werden sie vou der preußischen und russischen Reiterei in die
wütende Neiße getrieben, und Tausende finden in den wilden Wogen den Tod.
Nur die Saumseligkeit des Generals Langeron, der mit seinem russischen Korps
dem Kampfe fern bleibt, rettet die Armee Macdonalds vor völligem Untergange.
Aber auch nach der Schlacht hatte Blücher noch keine Ruhe. Er befahl,
die letzte Kraft von Mann und Roß au die Verfolgung des Feindes zu setzen.
Doch mußten die siegreichen Truppen, von der heißen Blntarbeit der Schlacht
und den Hin- und Hermärschen der letzten Tage bis zn Tode erschöpft,
während der Nacht auf dein aufgeweichten, völlig durchnäßten Boden des
Schlachtfeldes lagern, ohne Feuer, hungernd und frierend, in abgerissenen dünnen
Kleidern, die meisten ohne Schuhe. Am andern Morgen brach man auf, den
Geschlagenen nach. Bis an den halben Leib im Wasser durchwatete das Fu߬
volk die wütende Neiße. Blücher selbst feuerte unermüdlich zur Verfolgung
an. Den ermüdeten Truppen rief er zu: „Nur vorwärts, Kinder, um eine
neue Schlacht zu sparen!" Sein Wort gab neue Kraft, und mit Hurraruf
und „Vater Blücher lebe!" ging die wilde Jagd noch tagelang weiter, immer
bei strömendem Regen, verlustreich für die Sieger, verderblich aber für die Flie¬
henden. Am 1. September endlich machte Blücher Halt und gönnte den er¬
müdeten Truppen Ruhe. In einem Tagesbefehl konnte Blücher feinem Heere
triumphierend verkünden, das gesamte schlesische Land sei vom Feinde gesäubert.
Dieser Tagesbefehl lautet:
„Schlesien ist vom Feinde befreit. Eurer Tapferkeit, brave Soldaten der russischen
und preußischen Armee unter meinem Befehl, eurer Austreuguug und Ausdauer, eurer
Geduld und Ertraguug vou Beschwerden und Mangel verdanke ich das Glück, eine
schöne Provinz den Händen eines gierigen Feindes entrissen zu haben. — Seitdem
habt ihr Flüsse und angeschwollene Regenbäche durchwatet, im Schlamm habt ihr die
Nächte zugebracht; ihr littet zmn Teil Mangel an Lebensmitteln. Mit Kälte, Nässe,
Entbehrung und zum Teil mit Mangel an Bekleidung habt ihr gekämpft; dennoch
murrtet ihr nicht. Habt Dank für ein so hochlobenswertes Betragen; nur derjenige,
der solche Eigenschaften vereinigt, ist ein echter Soldat. 103 Kanonen, 250 Munitions¬
wagen, des Feindes Lazarettanstalten, seine Feldschmieden, seine Mehlwagen, 3 Gene¬
rale, eine große Anzahl von Offizieren, 18 000 Gefangene, zwei Adler und andere
Siegeszeichen sind in euren Händen. — Laßt uns dem Herrn der Heerscharen, durch
dessen Hilfe ihr den Feind niederwürfet, einen Lobgesang singen unb im öffentlichen
Gottesdienste für den uns gegebenen herrlichen Sieg danken. Ein dreimaliges Freuden¬
feuer beschließe die Stunde, die ihr der Andacht weiht. Dann suchet euren Feind aufs
neue auf!"*)
*) Vergl. auch: „Zwei Briefe von Gneiscnau über die Schlacht an der Katzbach." Richter, Quellen¬
buch. S. 273.