— 339 — 
von wenigen Offizieren begleitet, in seinem Wagen Sedan verlassen, da er sich 
unter seinen eigenen Soldaten nicht mehr sicher fühlte und fürchten mußte, 
von seinem eigenen Volke beschimpft zu werden. Auf dem Wege nach Don- 
chery traf er zunächst mit Bismarck zusammen und drückte diesem den Wunsch 
aus, den König zu sprechen. König Wilhelm befand sich jedoch in seinem 
Hauptquartier, drei Meilen von Sedan entfernt. Der Kaiser begab sich dann 
mit Bismarck in ein am Wege gelegenes armseliges Weberhaus, wo beide eine 
Unterredung vou ungefähr einer Stunde hatten. Er setzte sich dann mit Bis¬ 
marck noch auf eine steinerne Bank vor der Thür und sagte demselben, er 
selbst habe den Krieg nicht gewollt, sei aber durch den Druck der öffentlichen 
Meinung in Frankreich zu demselben gedrängt worden. Unterdessen hatten 
sich einige Offiziere in der Umgegend nach einem passenden Absteigequartier 
für den gefangenen Kaiser umgesehen und das Schlößchen Bellevue zwischen 
Sedan und Donchery gefunden. Dorthin begab sich der Kaiser, von einem 
Trupp preußischer Kürassiere begleitet. Hier fand auch die denkwürdige Be¬ 
gegnung zwischen dem siegreichen König und dem bis zum Staube gcbemütigten 
Kaiser mittags 1 Uhr statt. Sie währte ungefähr eine Viertelstnnbe. König 
Wilhelm schrieb über sie an feine Gemahlin: „Wir waren beibe sehr bewegt 
über biefes Wieberfehen. Was ich alles empfanb, ttachbem ich noch vor brei 
Jahren Napoleon auf bem Gipfel feiner Macht gesehen hatte, kann ich nicht 
beschreiben." König Wilhelm zeigte sich nicht als übermütiger Sieger, fonbern 
behaubelte ben gefangenen Kaiser mit ebler Schonung unb Milbe. Er wies ihm 
bas Schloß Wilhemlshöhe bei Kassel zum Aufenthaltsorte an. Es war basfelbe 
Schloß, bas einst, in ben Tagen ber tiefsten Erniebrignng Dentfchlanbs unb Preu¬ 
ßens burch Napoleon I., ber luftige Jerome, ber Bruber bes Kaisers, ber König 
von Westfalen, bewohnt hatte. Welch ein Unterschieb zwischen bamals unb jetzt! 
Dann besichtigte ber König ben ganzen Nachmittag bes 2. September seine 
siegreichen Truppen. In erhebenben Worten sprach er ihnen unb ihren Führern 
seinen königlichen Dank aus. Überall, wo ber greise Kriegsherr sich sehen 
ließ, bereiteten ihm die Truppen einen begeisterten Empfang, so baß er, tief 
ergriffen von so vielen Beweisen ber Liebe unb Hingebung, sich in Demut 
unter Gott beugte unb am anberen Tage an seine Gemahlin schrieb: „Wenn 
ich mir benke, baß nach einem großen, glücklichen Kriege ich währenb meiner 
Regierung nichts Ruhmreicheres mehr erwarten konnte, unb wenn ich nun 
biefen weltgeschichtlichen Akt erfolgt sehe, so beuge ich mich vor Gott, ber allein 
mich, mein Heer unb meine Mitverbünbeten auserfehen hat, bas Geschehene zu 
vollbringen, unb uns zu Werkzeugen feines Willens bestellt hat. Nur in 
biefem Sinne vermag ich bas Werk aufzufassen, um in Demut Gottes Führung 
unb seine Gnabe zu preisen." Schon sein erstes Telegramm hatte mit ben 
Worten geschlossen: „Welch eilte Wenbung burch Gottes Fügung!" 
22*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.