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von wenigen Offizieren begleitet, in seinem Wagen Sedan verlassen, da er sich
unter seinen eigenen Soldaten nicht mehr sicher fühlte und fürchten mußte,
von seinem eigenen Volke beschimpft zu werden. Auf dem Wege nach Don-
chery traf er zunächst mit Bismarck zusammen und drückte diesem den Wunsch
aus, den König zu sprechen. König Wilhelm befand sich jedoch in seinem
Hauptquartier, drei Meilen von Sedan entfernt. Der Kaiser begab sich dann
mit Bismarck in ein am Wege gelegenes armseliges Weberhaus, wo beide eine
Unterredung vou ungefähr einer Stunde hatten. Er setzte sich dann mit Bis¬
marck noch auf eine steinerne Bank vor der Thür und sagte demselben, er
selbst habe den Krieg nicht gewollt, sei aber durch den Druck der öffentlichen
Meinung in Frankreich zu demselben gedrängt worden. Unterdessen hatten
sich einige Offiziere in der Umgegend nach einem passenden Absteigequartier
für den gefangenen Kaiser umgesehen und das Schlößchen Bellevue zwischen
Sedan und Donchery gefunden. Dorthin begab sich der Kaiser, von einem
Trupp preußischer Kürassiere begleitet. Hier fand auch die denkwürdige Be¬
gegnung zwischen dem siegreichen König und dem bis zum Staube gcbemütigten
Kaiser mittags 1 Uhr statt. Sie währte ungefähr eine Viertelstnnbe. König
Wilhelm schrieb über sie an feine Gemahlin: „Wir waren beibe sehr bewegt
über biefes Wieberfehen. Was ich alles empfanb, ttachbem ich noch vor brei
Jahren Napoleon auf bem Gipfel feiner Macht gesehen hatte, kann ich nicht
beschreiben." König Wilhelm zeigte sich nicht als übermütiger Sieger, fonbern
behaubelte ben gefangenen Kaiser mit ebler Schonung unb Milbe. Er wies ihm
bas Schloß Wilhemlshöhe bei Kassel zum Aufenthaltsorte an. Es war basfelbe
Schloß, bas einst, in ben Tagen ber tiefsten Erniebrignng Dentfchlanbs unb Preu¬
ßens burch Napoleon I., ber luftige Jerome, ber Bruber bes Kaisers, ber König
von Westfalen, bewohnt hatte. Welch ein Unterschieb zwischen bamals unb jetzt!
Dann besichtigte ber König ben ganzen Nachmittag bes 2. September seine
siegreichen Truppen. In erhebenben Worten sprach er ihnen unb ihren Führern
seinen königlichen Dank aus. Überall, wo ber greise Kriegsherr sich sehen
ließ, bereiteten ihm die Truppen einen begeisterten Empfang, so baß er, tief
ergriffen von so vielen Beweisen ber Liebe unb Hingebung, sich in Demut
unter Gott beugte unb am anberen Tage an seine Gemahlin schrieb: „Wenn
ich mir benke, baß nach einem großen, glücklichen Kriege ich währenb meiner
Regierung nichts Ruhmreicheres mehr erwarten konnte, unb wenn ich nun
biefen weltgeschichtlichen Akt erfolgt sehe, so beuge ich mich vor Gott, ber allein
mich, mein Heer unb meine Mitverbünbeten auserfehen hat, bas Geschehene zu
vollbringen, unb uns zu Werkzeugen feines Willens bestellt hat. Nur in
biefem Sinne vermag ich bas Werk aufzufassen, um in Demut Gottes Führung
unb seine Gnabe zu preisen." Schon sein erstes Telegramm hatte mit ben
Worten geschlossen: „Welch eilte Wenbung burch Gottes Fügung!"
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