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einen hervorstehenden Felsen, fiel herab und erweckte den 
Löwen, der sie mit seiner gewaltigen Tatze festhielt. „Ach,“ 
bat sie, „sei doch groszmüthig gegen mich armes, unbedeu¬ 
tendes Geschöpf! Ich habe dich nicht beleidigen wollen; 
ich habe nur einen Fehltritt gethan und bin von dem Fel¬ 
sen herabgefallen. Was kann dir mein Tod nützen? Schenke 
mir das Leben, und ich will dir zeitlebens dankbar sein.“ 
„Geh’ hin,“ sagte der Löwe groszmüthig, und liesz das 
Mäuschen springen. Bei sich aber lachte er und sprach: 
„Dankbar sein! Nun, das möchte ich doch sehen, wie ein 
Mäuschen sich einem Löwen dankbar bezeigen könnte.“ 
Kurze Zeit darauf lief das nämliche Mäuschen durch 
den Wald und suchte sich N.üsze: da hörte es das kläg¬ 
liche Gebrülle eines Löwen. „Der ist in Gefahr!“ sprach 
es bei sich, und ging der Stelle zu, von wo das Gebrülle 
herübertönte. Es fand den groszmüthigen Löwen von ei¬ 
nem starken Netze umschlungen, das der Jäger künstlich 
ausgespannt hatte, um damit grosze Waldthiere zu fangen. 
Die Stricke hatten sich so künstlich zusammengezogen, dasz 
der Löwe weder seine Zähne, noch die Stärke seiner 
Tatzen gebrauchen konnte, um sie zu zerreiszen. — ,,'Warte 
nur, mein Freund ,u sagte das Mäuschen, ,,da kann ich 
dir wohl am besten helfen.“ Es lief hinzu, zernagte die 
Stricke welche seine Vordertatzen gefesselt hatten, und 
als diese frei waren, zerrisz er das übrige Netz und ward 
so durch die Hülfe des Mäuschens wieder frei. 
19. Der Fuchs und die Trauben. 
Ein Fuchs tam auf einem Gauge nach Beute au einen Wein- 
stock, der voll süßer Trauben hing. Lange schlich er vor demsel¬ 
ben auf und ab, überlegend und versuchend, wie er zu den 
Trauben gelangen könne. Aber umsonst, sie hingen zu hoch. Um 
sich nun von den Bögeln, welche ihm zugesehen hatten, nicht ver¬ 
spotten zu laßen, wandte er sich mit verächtlicher Miene weg und 
sprach: „Die Trauben sind mir zu sauer, ich mag sie nicht!" 
20. Kutschpferd und Ackergaul. 
(Von Geliert.) 
Ein Kutschpferd sah den Gaul den Pflug im Felde ziehn und 
wiehert' stolz herab auf ihn. „Wann," sprach es, und begann 
sich schön zu heben, „wann kannst du dir ein solches Ansehn ge¬ 
ben und wann bewundert dich die Welt?" — „Schweig," rief 
der Gaul, „und laß mich ruhig pflügen; denn baute nicht mein
	        
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