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Felde umher — das übrige Vieh aufgezehrt — die Not macht, daß eiu
jeder thnt, was er will — der Feind glaubt Recht dazu zu haben, die
Russen haben keine anderen Mittel, und die große Menge der Kosaken sind
wild und nicht discipliniert. — Wir stehen seit einigen Tagen aus dem Schlacht-
selde vom 8. dieses — die Dörfer noch voller Verwundeten, halb oder
ganz verhungert; uoch gestern sanden wir zwanzig verwundete Franzosen in
einigen Häusern eines wüsten Dorfes, die um Brot sleheteu. In dem
Quartiere eines angesehenen Gutsbesitzers fanden wir nicht allein kein Brot
oder sonst etwas, anch er selbst war seiner Kleidung, außer einem schlechten
Rocke und schlechten Pantoffeln, beraubt. — In einem anderen Hanse
fand sich unter dem Dache der Besitzer eines großen Gutes, ohne Bekleidung
im Bette — er war 70 Jahre alt; seine Haushaltsgebäude waren abgebrannt,
sein Vieh, alles war verloren, die Domestikeu weg, seiu Haus voller Ver-
wuudeten. Er war ehemals Oberstlieutenant. Noch liegt das Schlachtfeld
voller toter Körper — an manchen Stellen Mann an Mann. Man be-
hanptet, daß die Anzahl der Pferde gegen 15000, und die der uoch liegenden
Menschen über 12000 betrage. Dies ist eine Berechnung, die ans der Stelle
in diesen Tagen gemacht ist, indem man in einem Bezirk alle Körper zählte.
Die Anzahl der Verwundeten ist vier bis fünf Mal größer als der auf
der Stelle Gebliebenen; dies weiß man aus allen Kriegen. — Welch eine
Verwüstung, welch ein Morden!
198. Aus der Belagerung von Kolberg.
1807.
Bericht des Patrioten Nettelbeck *).
<H aken, Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg, Eine Lebensbeschreibung, von ihm selbst aus-
gezeichnet. Leipzig 1821 ff., III., S. 146 ff.)
Alles, was vom Anbeginn der Belagerung bis jetzt vom Feinde uuter-
nommen worden, mochte nur als ein leichtes Vorspiel von demjenigen gelten,
wozu die dritte Morgenstunde des 1. Julius die Losung gab; denn mit
derselben eröffnete er aus all' seineu zahlreichen Batterien ein Feuer gegeu
die Stadt, so ununterbrochen, so von allen Seiten kreuzend und so mörderisch
und Zerstörend, wie wir es noch niemals erlebt hatten. Die Erde dröhnte
*) Joachim Nettelbeck, Bürger von Kolberg, geb. 1738 daselbst, Sohn
eines Brauers, ursprünglich Seemann, zeichnete sich schon im siebenjährigen Kriege
bei der Verteidigung seiner Vaterstadt aus. 1782 ließ er sich daselbst als Brannt-
weinbrenner nieder nnd wurde Mitglied der Stadtvertretung. Seine Thätigkeit
bei der Verteidigung Kolbergs 1807 war eine heldenhafte. In Verbindung mit
seinem Freunde Schill verhinderte er die Uebergabe, veranlaßte die Sendung
Gneisenaus nach Kolberg und unterstützte diesen als Bürgeradjutant bei der Ver-
teidignng. — Um den patriotischen Mann zu ehren, verlieh ihm der König nach
dem Frieden von Tilsit die Admiralsuniform und bewilligte ihm später eine
Pension. Nettelbeck starb zu Kolberg am 10. Juni 1824. —