§ 6. Die inneren Zustände in dem Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden. 43
sich bei den Großen so unentbehrlich zu machen, daß sie Vertrauens¬
stellungen und hohe Ämter erlangten. Schon fing man an, Bonnen von
jenseits des Rheines her zu beziehen, welche die jungen Barone und
Baronessen sranzösisch parlieren lehren sollten und es dann für ihr Recht
hielten, sie vor dem Gebrauch der ,,garstigen barbarischen Banernsprak
der Deutschen zu warnen. Die zahlreichen Sprachgesellschaften, die sich
gegen die Verderbnis der deutschen Sprache wandten, richteten wenig aus,
doch zeugten sie von der Sehnsucht der deutschen Volksseele. Das deutsche
Gemüt und bessere deutsche Sitte behauptete sich beim Landadel und
Bürgertum. Die Nachäffung welscher Art beschränkte sich aber nicht nur
auf die Annahme der fremden Sprache und Umgangssitte, die immerhin
das Gute hatte, daß sie das oft derbe oder geradezu rohe Wesen aus der
Zeit des Dreißigjährigen Krieges, wie es sich z. B. auf den Universitäten
zeigte, zurückdrängte, sondern man nahm auch die Liederlichkeit, Prunksucht
und Verschwendung von Versailles herüber und vergaß hierbei völlig, daß
die Mittel eines kleinen deutschen Fürsten es wahrlich nicht gestatteten, dem
mächtigen Herrn des reichen Frankreich nachzuahmen. So stürzten sich viele
deutsche Landesherren samt ihrem Hofadel in Schulden, aus denen sie sich
dann durch maßlose Erhöhung der Steuerlast, Ämterverkauf und die Künste
der Alchimisten und Hofjuden vergeblich zu retten suchten. Die Kluft
zwischen dem Fürstenhof, der praßte und verschwendete, und dem Volk, das
darbte und hohe Steuern zahlte, ward dadurch sehr vergrößert. Am
schlimmsten sah es in Baden, Bayern, Württemberg und Sachsen aus; auch
verschiedene geistliche Fürsten gaben sich dem äußerlich vornehmen, in Wirk¬
lichkeit leichtfertigen und hohlen Ausländertum hin. August der Starke von
Sachsen vergeudete das Geld in dem Maße, daß er z. B. für die Festlich¬
keiten im Lustlager zu Mühlberg an der Elbe 15 Millionen Mark
ausgab; zu einem einzigen Feuerwerke, das er abbrennen ließ, wurden
18000 Stämme Bauholz verbraucht, 6000 Ellen Leinwand umfaßte ein
dabei aufgestelltes, großes allegorisches Bild. Sein Minister Flemming
bereicherte sich um 48 Millionen Mark, von denen dann der Witwe die
Hälfte wieder abgenommen wurde; die Gräfin Kosel lockte dem Kurfürsten
60 Millionen Mark ab. Mythologische Feste, Turniere, Türken- und
Bauernseste sowie Maskeraden, bei denen oft das halbe Heer mit tätig war,
lösten einander unaufhörlich ab. Außer einer prächtigen Bildergalerie
erbaute er zu Dresden das- Japanische Palais, in dem für 3 Millionen
Mark echtes chinesisches Porzellan ausgestellt war. Das Grüne Gewölbe,
Augusts des Starken Schatzkammer, enthielt ein ganzes Zimmer voll Perlen,
Drechslerarbeiten, Spieluhren und. Pfeilern von Straußeneiern.
Der Geschmack verseinerte sich durch die französische Bildung nur
äußerlich; er hastete an prunkvollen Schaustellungen, und sinnlicher Genuß
überwog. Auf der Bühne herrschte die italienische Oper, der auch in
Hamburg der kräftige Anfang einer deutschen unterlag. Zwar befreite die
,,Neuberin" (Friederike Neuber) im Bunde mit Gottsched die deutsche
Bühne von ihrer Roheit, auch führte Gottsched die historische Tracht ein;
aber wirklich veredelt wurde das Schauspiel erst im folgenden Zeitalter.
— Die bisherige Tracht wurde abgelegt; die Männer kleideten sich in