Full text: Fünfzehn Bilder aus der deutschen Geschichte

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ganz hingekommen, sondern unterwegs in einem Flusse ertrunken. 
Die Leute wollten nicht glauben, daß er gestorben sei, sondern 
erzählten sich, Kaiser Rotbart sitze im Kysfhänser (einem Berge 
in Thüringen) in einem unterirdischen Schlosse und schlafe. Sein 
roter Bart fei durch den Tisch gewachsen. Seine Tochter und 
einige Zwerge bedienten ihn. Einmal würde er aber wieder 
kommen und alle Feinde aus Deutschland vertreiben. Manche 
Leute erzählten auch, sie wären im Kyffhänfer gewesen und hätten 
ihn gesehen. 
Einmal faß ein Schäfer auf dem Berge und blies auf seiner 
Schalmei so anmutig, daß der Kaiser im Inneren des Berges 
es mit Wohlgefallen hörte und dann durch einen Zwerg den 
Schäfer hereinführen ließ. Nachdem er vor dem Kaiser recht 
schön gespielt hatte, erhielt er zum Geschenk eine Menge Gold. 
Bon einem Zwerge wurde er wieder glücklich hinausgeführt. 
Daß der schlummernde Kaiser die Musik liebte, war in der 
ganzen Gegend bekannt. Eine Gesellschaft Musikanten von Kelbra 
beschloß daher, ihm eine vollständige Nachtmusik zu bringen. Als 
die Glocke die Mitternachtsstunde verkündete, begannen sie ihre 
Musik. Bald darauf kam die schone Prinzessin auf sie zugetanzt 
mit Lichtern in der Hand und gab ihnen zu verstehen, ihr zu 
folgen. Der Berg öffnete sich, und unter Musik zogen sie ein. 
Es wurde nun das Beste und Wohlschmeckendste anfgetifcht, und 
die Musikanten ließen es sich schmecken. Als der Morgen dämmerte, 
brachen sie auf und meinten, etwas von dem herumliegenden Golde 
und von den Edelsteinen zu bekommen. Sie irrten sich. Der 
Kaiser dankte nur mit einem Kopsnicken, und die Prinzessin gab 
jedem der Spielleute zum Andenken einen grünen Zweig. Als 
sie wieder im Freien waren, verwünschten sie den Kaiser und 
seine Tochter ihres Geizes wegen und warfen die Busche weg. 
Einer derselben behielt aber seinen Zweig und überreichte ihn zu 
Hause scherzend seiner Frau. In dem Augenblicke verwandelten 
sich alle Blätter in goldene Zehnthalerstücke. Die übrigen, als 
sie das hörten, waren neidisch. Sie gingen wieder zum Berge, 
um ihre Zweige zu suchen; sie fanden aber keine wieder.
	        
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