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4. Jerusalem wird erobert. Die Kreuzfahrer setzten
nun unter grosser Beschwerde den Weg nach Jerusalem
fort. Fast drei Jahre waren sie schon unterwegs, und viele
Tausende waren durch die Beschwerden der Reise, durch
Krankheiten oder durch das Schwert der Türken dahin¬
gerafft. Endlich — am 5. Juni 1099 — kamen die Übrig¬
gebliebenen an ihrem Ziele an. Als sie die heilige Stadt
vom Ölberge aus so im Glanze der Abendsonne vor sich
liegen sahen, da fielen alle nieder auf die Kniee, dankten
Gott und küssten den Boden. „Jerusalem, Jerusalem!“ er¬
tönte es von allen Seiten.
Allein die Eroberung kostete doch noch manchen harten
Kampf. Denn die Stadt war mit festen Mauern umgeben
und wurde durch ein starkes Türkenheer verteidigt. Von den
Kreuzfahrern waren aber nur noch 20 000 Mann übrig¬
geblieben. Aber durch ihre Begeisterung gewannen sie doch
zuletzt den Sieg. Es war am 14. Juli, an einem Donnerstag,
als endlich die Türken nachgeben mussten und die Kreuz¬
fahrer unter dem Rufe: „Gott will es, Gott will es!“ in die
Thore der heiligen Stadt drangen.
Aber kaum sollte man sie „Christen“ nennen, die in
die Stadt drangen, so furchtbar war das Blutbad, das sie
unter den Einwohnern Jerusalems anrichteten. Männer und
Frauen, Greise und Kinder — alles wurde niedergemetzelt,
das Blut rann in den Strassen.
Gottfried wusste nichts von diesen Greueln. Gleich nach
der Einnahme der Stadt war er zur Kirche des heiligen
Grabes gegangen und hatte Gott im heissen Gebet dort für
den Sieg gedankt. Auch die Sieger erwachten bald wieder
von ihrer Mordgier, thaten Busse und reinigten sich vom
Blute der Erschlagenen. Am folgenden Sonntage wallfahrteten
alle zum heiligen Grabe, um dort dem Herrn zu danken.
5. Gottfrieds Ende. Die Kreuzfahrer wählten nun
Gottfried zu ihrem Könige; aber der fromme Herzog sprach:
„Sollte ich da eine goldene Krone tragen, wo mein Herr und
Heiland eine Dornenkrone getragen hat?“ Nicht König nannte
er sich, sondern „Beschützer des heiligen Grabes“. Doch
schon im folgenden Jahre starb Gottfried, und nun nannte
sein Bruder sich „König von Jerusalem“.