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IV. Das deutsche Volk.
seinen Franken Gallien unterwarf, fanden Westgoten und Burgunden
bei ihm Hilfe, ein Teil der Alemannen Zuflucht und Aufnahme.
So durste er, wenngleich nur vorübergehend, daran denken, alle
Germaneil gleichsam in einen großen Staatenbund unter ostgotischer
Führung zu vereinigen. Und gerade dainals hatten die Waffen der¬
selben die weitesten Ziele erreicht, die ihnen gesteckt waren.
Überblicken wir kurz die damalige Ausbreitung der Germanen.
In Italien, dem Mittelpunke des alten Römerreiches, das die Ger¬
manen gestürzt, hatten die Ostgoten sich niedergelassen; ihre Herrschaft
ging von der Rhone und der Donau bis zur Südspitze Siciliens; in
Nord-Afrika, in Sardinien und Korsika wie auf dem Mittelmeere
geboten die Vandalen; in Spanien die Westgoten, neben denen im
Nordwesten der Halbinsel noch Sueven selbständig saßen. Über
Gallien hatten gerade zu dieser Zeit die Franken sich ausgebreitet,
deren Herrschaft bis über den Rheiil reichte. Reben ihnen saßen im
Südosteir des Landes an der Rhone und in der heutigen Schweiz
die Burgunden. Britannien gehorchte den Angelsachsen. Die skan¬
dinavischen Völker waren gleichfalls Germanen und ihren südlichen
Brüdern in Sprache, Recht und Sitteil nahe verwandt. Im Innern
des eigentlichen Deutschlands warell die Friesen, die Sachsen und
die Thüringe im ganzeil an ben alten Stellen geblieben. Rur der
Osten hatte ein anderes Allsehen gewonnen; denn das Laild östlich
der Elbe gehörte nicht mehr Deutschen, sondern Slaven. Südlich
zwischeil Donau und Alpen aber saß der neue Stamln der Bayern,
in welchen Goten und Langobarden verbuilden waren mit den alten
Markomannen, von bereit früheren Wohnsitzen int Lande der Bojer
der ganze Stamm den Namen erhielt. Weiter die Donau hinab
saßen auf dem rechter! Ufer die Heruler, auf dein linken, gegen die
Karpathen hin, die Gepiden, ebenfalls germanische Stämme. Vom
Norden her näherten sich allmählich der Donau die Langobardell und
weilten damals gerade in dein heutigen Mähren. So war also die
ganze westliche Hälfte unseres Erdteils germanischer Herrschaft Unter¬
than; diese war an die Stelle der römischen Weltmacht getreten, die
nur llvch im Osten (Griechenland, Kleinasien, Syrien und Ägypten)
ein verkünlmertes und vielfach gefährdetes Dasein fristete.
Man würde irren, wenn man sich diese Völker als völlig roh,
jedes nur auf eigene Hand und ohne Plan hin handelnd, benfeit
wollte. Im Gegenteil finden wir bei den Heldell der Völkerwande¬
rung — bei Alarich, Genserich, Attila, Theoderich — einen scharfen,