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Und nun erzählte er Johannes den ganzen Hergang. — Kaum hat er geen¬
digt, da eilt Johannes in die Wüste, wo sich die Räuber aufhalten. Als-
bald von diesen gefangen genommen, bittet er, ihn zu ihrem Führer zu
bringen. Dieser steht trotzig und in voller Rüstung auf einem Hügel. Als
er aber des ©reifes ansichtig wird, übermannt ihn die Scham. Er ent»
flieht. Johannes läuft ihm nach und ruft: „ Mein Sohn, warum fliehst
du vor deinem Vater, der unbewaffnet, von Alter gebeugt und kraftlos
zu dir kommt? Fürchte dich nicht, es ist noch Hoffnung , glaube mir,
Christus hat mich zu dir gesandt!" Mächtig ergreifen diese Worte den
Jüngling. Er kann nicht anders — er muß umwenden. Zitternd und
weinend steht der gefürchtete Räuberhauptmann vor dem wehrlosen Greife.
Der aber breitet die Arme aus und spricht: „Komm in meine Arme, fei
wieder mein Sohn und laß dich von mir leiten und führen." Willig folgt
ihm der Jüngling. Er ist dem Leben, das aus Gott ist, wieder gewonnen.
Als Johannes vor Altersschwäche nicht mehr in die Versammlung
gehen konnte, ließ er sich dahin tragen, und als feine Kräfte ihm nicht mehr
erlaubten, zu predigen, pflegte er mit schwacher Stimme immer nur dieS
eine Wort zu widerholen. „Kindlein, liebet euch unter einan¬
der! „Da fragte ihn einst einer der Brüder: „Vater, warum sprichst
du stets nur dasselbe?" Er erwiderte: „Weil dies das Gebot dcd Herrn
ist, und weil genug geschieht, wenn nur dies Eine geschieht."
Paulus, früher Saulus (der Erbetene) genannt, war zu Tarfuö
in Cilicien geboren, ein Sohn jüdischer Eltern, welche aber das in da¬
maliger Zeit hochgeachtete römische Bürgerrecht befaßen (Ap.-Gefch. 22, 28).
Seine Eltern hatten ihn zum Rabbiner bestimmt und ließen ihn daher
in Jerusalem, zu den Füßen des berühmten Schriftgelehrten Gamaliel
jüdische Theologie studiren. Gleichzeitig aber lernte er ein Handwerk,
das Teppichmachen. Mit ganzer Seele lag er seinen Studien ob und
ward ein eifriger Pharisäer. Als solcher suchte er das Heil seiner Seele
in der genauen Befolgung aller pharisäischen Satzungen, Vorschriften
und Gebräuche und war mit glühendem Haß gegen die Christen erfüllt,
welche die Rechtfertigung allein durch den Glauben lehrten. Bei der
Steinigung des Stephanus war er als freudig erregter Zuschauer zugegen
(Ap. Gesch. 7, 57) und ließ sich dann mit obrigkeitlicher Vollmacht ver¬
sehen, die Christen auch aus der Ferne zu einem gleichen Schicksale herbei¬
schleppen zu dürfen. Schnaubend mit Drohen und Morden gegen die
Jünger des Herrn, begab er sich bald darauf nach Damaskus. Auf dem
Wege dahin wurde er durch den Herrn selbst bekehrt. Erblindet von der
himmlischen Erscheinung, zog er in Damaskus ein, empfing durch A n a n i a s
das Augenlicht wieder und sing dann sofort an, zum großen Erstaunen
der Jünger, das Evangelium von dem Gekreuzigten zu predigen. Von
den Juden verfolgt, floh er erst nach Jerusalem und von da nach seinem
Geburtsorte TarsuS, wo er blieb, bis ihn Barnabas, der in Antiochien
in Syrien eine blühende Gemeinde gestiftet hatte, dorthin abholte. Von