Full text: Charakterbilder für den biblischen Geschichtsunterricht

das, was vorher das Gesetz wollte, ist nun des Menschen eigener 
Trieb geworden, aber während der Mensch vorher stolz war auf 
seine Tugendhöhe und Tugendkraft, ist er nun demütig geworden 
und mißtrauisch auf seine Tugendmittel, dagegen voll freudigen Ver¬ 
trauens auf die in ihm wirksame Kraft aus der Höhe. Was vorher 
bloß augenblickliche Rührung und Erhebung war, das ist nun ein 
bleibender Zustand des Gemüts; dagegen was vorher noch die vor¬ 
herrschendste Geltung hatte, Ehre und Ansehen vor der Welt, Selbst¬ 
gerechtigkeit und Selbstgenügsamkeit, das hat jetzt allen Reiz verloren; 
aber die Demut, die sich selber vergißt, hat einen Gottesmut errungen, 
der durch das Vergängliche nach dem Ewigen strebt. «Das Alte ist 
vergangen, siehe, es ist alles neu geworden«; das göttliche und mensch¬ 
liche, das natürliche und geistige Leben erscheint in einem ganz andern 
Lichte, der Wille und die Erkenntnis mit ganz andern Kräften aus¬ 
gestattet, als zuvor. Das ist die Wiedergeburt von oben, 
die Geburt aus dem Geist Gott es zu einem neuen gött¬ 
lichen Leben. (Vgl. 2 Cor. 5, 17.) 
Diese Wiedergeburt geschieht im Glauben und durch den Glauben, 
und eben deshalb gehört sie zu den Wundern des Glaubens, dessen 
Wesen wir durch tote Verstandesbegriffe nicht erschöpfen, mit dem 93er¬ 
stände nicht demonstrieren können, das vielmehr wie alles Lebendige 
unmittelbar erkannt, d. h. erfahren sein will. Allerdings heißt es 
von dem Glauben: er komme aus der Predigt; das will aber nichts 
anderes sagen, als er entzünde sich am Glaubens-Leben derer, 
die da predigen, er werde gewirkt durch das lebendige Wort derer, 
die ihn verkünden, nicht aber, daß er sich von selbst oder aus der 
toten Erkenntnis entwickele. Von der Erkenntnis zum Glauben giebt 
es keinen allmählichen Übergang; es ist etwas Wunderbares, Geheimnis¬ 
volles, Absolutes bei der Wiedergeburt des innern Menschen, wie 
schon die physische Zeugung und Geburt ein Wunder ist. Wird doch 
schon im natürlichen Leben das Tote nimmer ein Lebendiges, das 
Fremde ein Eigenes; nur wo bereits Leben ist und sich mitteilen kann, 
sehen wir ein neues Leben erblühen. Der Zustand des wiedergeborenen 
Menschen, in welchem dieser haßt, was er zuvor liebte, in welchem Lust 
und Liebe an die Stelle der Unlust und Abneigung getreten ist, Kraft 
an die Stelle der Schwachheit — ist er nicht ein Wunder, dessen That¬ 
sache wir wohl anerkennen, dessen Grund und Ursprung sich aber 
aller Beobachtung entzieht? Das macht der Herr dem Nikodemus
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.