Full text: Charakterbilder für den biblischen Geschichtsunterricht

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während euer samaritischer Gottesdienst sich auf keine göttliche Anord¬ 
nung gründet, und willkürliche Menschenordnungen (wie der Tempel¬ 
bau auf Garizim) und ein blinder religiöser Drang eure Gotteser¬ 
kenntnis getrübt haben.« Der Pentateuch, auf den die Samariter allein 
sich stützten, konnte nur schwache dürftige Jdeeen vom kommenden 
Messias geben, und die Reihe der Propheten, welche die messianische 
Weissagung lebendig und kräftig fortgeleitet hatten, keineswegs ersetzen. 
Das mußte der Heiland den Samaritern gegenüber klar und deutlich 
aussprechen, daß seine Lehre auf der theokratischen Geschichte des 
jüdischen Volkes ruhete, daß sein Reich, welches auch den von den 
Juden so verachteten Samaritern die Thore öffnete, nur die höhere 
Entfaltung des Jehovahtums sei. So ehrte Jesus sein Volk und 
dessen Geschichte auch da, wo er als Heiland zu den Gegnern seiner 
Landsleute ging, und es ist höchst charakteristisch, daß — wie er in 
der Bergrede es so stark betonte: Ich bin nicht gekommen aufzulösen 
sondern zu erfüllen — er auch hier, wo er den Fall des Tempels 
zu Jerusalem und aller Ceremonieen, die bisher den Kultus gebildet 
hatten, weissagte, doch mit allem Nachdruck die Offenbarungen des 
Alten Bundes als göttliche Autorität anerkannte. 
Die Frau mochte vielleicht von dem Propheten aus Judäa, der 
so leutselig und teilnehmend mit ihr, der Samariterin, sich eingelassen 
hatte, erwartet haben, daß er wenigstens ihre Landsleute in Beziehung 
auf den Gottesdienst den {einigen gleichstellen würde; darin hatte sie 
sich getäuscht. Sie mochte ferner, als sie dem Gespräche jene Wendung 
auf das Allgemeinere gab, geglaubt haben, von den persönlichen Konse¬ 
quenzen dieser Unterredung loszukommen; aber auch dieses war nicht 
der Fall. Denn in der Forderung Jesu von einem Gottesdienst im 
Geist und in der Wahrheit lag klar genug die Weisung: Kümmere 
dich nicht um die Streitfrage wegen des Tempels, mache vielmehr 
dein eigenes Herz zu einem Tempel Gottes durch eine reine heilige 
Gesinnung (1 Cor. 3, 17). Doch auch hier lenkte die Frau wieder 
ab, da ihr das Gespräch zu geistlich wurde und zu ernst; sie schob 
die Entscheidung wieder von sich in die Zukunft, damit freilich den 
innern Mangel wahrhafter Sehnsucht nach dem Heilande offenbarend, 
damit aber zugleich das letzte entscheidende Wort des Herrn heraus¬ 
fordernd. »Ob du recht hast ober nicht, kann ich nicht beurteilen; 
aber das weiß ich, wenn der Messias kommt, der wird uns auch 
hierüber Auskunft geben.« Die Samaritaner erwarteten wie ihre Nach-
	        
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