48. Vespasian und Titus. Zerstörung Jerusalems. 105
6. Neros ©ttclWt. Mit dem Blutdurste eines Tigers verband Nero
die Eitelkeit eines Narren. Er hielt sich für einen großen Künstler und trat in
Rom öffentlich als Sänger und Wagenlenker auf. Wehe betn, der ihm seine Be¬
wunderung versagte! Er unternahm sogar eine Kunstreise nach Griechenland, um
in den Festspielen, die sämtlich in demselben Jahre hinter einander gefeiert werden
mußten, zu glänzen. Die Griechen erkannten ihm auch alle Preise zu, selbst als
er zu Olympia beim Wagenrennen in den Sand stürzte. Mit 1800 Kränzen
kehrte er heim und feierte wegen feiner Kunstsiege einen Triumph.
7. Neros Ende (68). Vierzehn Jahre ertrug Rom dieses Scheusal;
dann brach eine Empörung aus. Das Heer rief den greisen Statthalter
Galba zum Kaiser aus; auch die Prätorianer fielen ab. Fast von allen
verlassen, floh Nero nachts aus Rom, um sich auf einem nahen Landgute
zu verbergen. Der Donner rollte, zuckende Blitze fuhren über den Weg.
Reisende, die ihm und seinen vier Begleitern begegneten, fragten: „Was
giebts Neues von Nero?" Andere sagten: „Die setzen gewiß dem Nero
nach!" Halbtot vor Angst erreichte er das Landgut. Hier brach man
für ihn ein Loch durch die Mauer, damit er ungesehen ins Haus gelange.
Am andern Morgen kam die Nachricht, der Senat habe ihn geächtet und
zum Tode verurteilt. Nun drangen seine Begleiter in ihn, er möge sich
selber das Leben nehmen; er hatte aber nicht den Mut dazu. „Welch
ein Künstler stirbt in mir!" jammerte er. Schon sah man Reiter heran¬
sprengen, die ihn suchten; da ergriff er den Dolch, und ein Freigelassener
half ihm denselben in die Kehle stoßen. So endete der Tyrann, erst
31 Jahre alt. Mit ihm erlosch des Angnstus fluchbeladenes Geschlecht.
Nach Nero folgten einander drei Kaiser (Galba, Otho, Vitellius) während
eines einzigen Jahres; keiner von ihnen starb eines natürlichen Todes. Die Prä¬
torianer und die Legionen in den Provinzen waren es, welche für Geld Kaiser
einsetzten und die Erhobenen wieder stürzten, um den Thron aufs neue zu ver¬
handeln.
48. Vespaftau (69-79) und Titus (79-si).
Zerstörung Jerusalems <7v).
1. Empörung der Juden; erste Kriegsjahre. Die Juden hatten
den Heiland gekreuzigt und warteten nun mit Ungeduld auf einen Messias
nach ihrem Sinne, einen König, dessen Reich von dieser Welt wäre. Denn
unerträglich war ihnen das Joch der Heiden, die schnöde Behandlung der
stolzen Römer. Endlich im Jahre 66 machte sich der gärende Haß in
offener Empörung Luft, und zwischen Inden und Römern entbrannte
ein vierjähriger Krieg, welcher mit fast beispielloser Wut und Erbitterung
geführt wurde. Für die Juden gab es keine Hoffnung; denn Gott hatte
sie verworfen. Anfangs zwar waren sie glücklich. Da sandte Kaiser
Nero, welcher damals regierte, den trefflichen Feldherrn Vespasian
nach Palästina. Ehe er erschien, flüchteten die Christen, eingedenk der
Warnung des Herrn, nach Pella im Ostjordanlande, wo sie einen stillen