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6. Abends, als die Herren und die Knechte sich
in der für sie erbauten Herberge zur Ruhe gelegt hatten?
beschlossen Hagen und Volker, die Nacht über vor der
Thür des Herrensaales zu wachen In voller Waffen¬
rüstung standen sie da, Volker aber setzte sich auf einen
Stein an der Thür des Hauses und strich die Fiedel»
dafs es hell durch die Nacht erklang, immer süfser und
sanfter, bis er die Müden in Schlummer gewiegt hatte.
Um Mitternacht sahen sie Helmesglanz im Dunkel
blitzen; es waren Hunnen, die sich zum Überfall der
Schlafenden gerüstet hatten. Als sie aber die beiden
Wächter bemerkten, kehrten sie unverrichteter Sache
zu Kriemhild zurück, die ob solcher Nachricht wenig
erfreut war. Am ändern Morgen gingen die Helden,
auf Hagens ,Rat in voller Waffenrüstung, zur Kirche.
Als Etzel die Burgunden in Waffen sah, sprach er ver¬
wundert: „Wie kommt es, dafs ich meine Freunde mit
dem Helme auf dem Haupte sehe? Ist ihnen von
jemanden ein Leid geschehen, so soll er es büfsen.“
Hagen aber entgegnete, es sei Sitte seiner Herren, bei
Hoffesten drei Tage lang bewaffnet zu erscheinen. Nach
dem Gottesdienste begannen die Kampfspiele, denen der
König und die Königin vom Fenster des Palastes zu¬
schauten. Es war anfangs noch fröhliches Scherzen; als
aber Volker im Übermute einen zierlich gekleideten
Hunnen im Speerkampfe erstach, da griffen die Hunnen
zu Schwert und Schild, den Spielmann zu erschlagen.
Noch aber gelang es dem Könige Etzel, den Streit zu
schlichten. Das verdrofs die Königin, welche den Kampf
begehrte; und nun suchte sie Dietrich von Bern zu be¬
wegen, dafs er Siegfrieds Tod räche; allein der edle
Held wollte an den Burgunden keine Treulosigkeit