6 3. Die Phönicier.
sonders viele Niederlassungen legten sie in Spanien an, dessen Reichtum
an Gold und Silber sie lockte. Als sie dieses Land zum erstenmal be¬
traten , sahen sie mit frohem Erstaunen, daß man hier ganz gewöhnliche
Gerätschaften aus Silber verfertigte. Da waren die Phönicier nicht
faul; sie tauschten gegen andere Waren Silber ein, foviel ihre Schiffe
tragen konnten, und vergaßen das Wiederkommen nicht. Bei den Säulen
des Herkules — so nannten die Alten die Felsen, welche die Straße von
Gibraltar einengen — war nach damaligen Begriffen die Welt zu Ende.
Die Phönicier wagten sich aber getrost weiter und gründeten westlich von
der Meerenge die Jnselstadt Cadiz (spr. Kadis). Sie segelten auf dem
Atlantischen Ozean bis nach den zinnreichen Scilly-Juseln an der Süd-
westspitze von England; ja sie durchfuhren den Kanal, um — wahrschein¬
lich an der deutschen Nordseeküste— das Meergold, den Bernstein, ein¬
zuhandeln , der im Altertum dem Golde gleich geschätzt wurde. Damit
aber nicht andere seefahrende Völker ihnen nachahmten, verbreiteten sie
haarsträubende Schilderungen von den Schrecken des Atlantischen Ozeans.
„Das Wasser", sagten sie, „ist so dick wie Gallerte; Rohr wächst darin,
so hoch wie Mastbäume, und dazwischen Hausen grausige Drachen, welche
den verwegenen Schiffer zu verschlingen drohen." Lange Zeit erfüllten
diese Lügen auch ihren Zweck.
Die Phönicier beschränkten sich durchaus nicht aus den Seehandel.
Durch ihre Karawanen bezogen sie auch zu Laude aus Ägypten und den
asiatischen Ländern, sogar aus dem fernen Indien, alles, was dort Köst¬
liches zu finden war, um es dann anderswo mit Gewinn zu verkaufen.
3. GetveröfleiU. Manche Stoffe verarbeiteten die Phönicier erst in
ihrem Lande, um so noch mehr daran zu verdienen. Aus Gold, Elfenbein und
Bernstein verfertigten sie tausend reizende Schmucksachen; Wolle und Baumwolle
verwebten sie zu Gewändern und färbten sie prachtvoll; auch machten sie Gefäße
und Zieraten aus Glas und bronzene Waffen aus Kupfer und Zink. Daß sie
auch sehr geschickte Baumeister waren, das beweist der herrliche Tempel, welchen
phönicische Künstler auf Salomos Wunsch und ihres Königs Hiram Befehl
zu Jerusalem errichteten.
4. Erfindungen. Den Phöniciern wird die so wichtige Erfindung
der Buchstabenschrift zugeschrieben. Gewiß ist, daß sie die Purpur-
särberei erfunden haben. Ein phönicifcher Schäferhund foll die Veran¬
lassung dazu gegeben haben. Derselbe hatte am Meeresstrande Purpur-
schuecken zerbissen und kam mit hochroter Schnauze zu seinem Herrn zu¬
rück. Der Hirt glaubt, sein Hund sei verwundet, und wischt ihm mit
einem Tuche das vermeintliche Blut ab. Siehe, da färbt sich das Tuch
wunderschön rot; von einer Wunde aber findet sich keine Spur. Neu¬
gierig folgt nun der Hirt dem Hunde an den Strand und entdeckt, daß
jene Schnecken es sind, die einen so köstlich färbenden Saft enthalten. Die
Purpurfärberei kam bald zu hoher Blüte; besonders berühmt wurde der
lyrische Purpur. Diese Farbe war violettrot, hatte einen wundervollen
Glanz und war fast unvergänglich. Purpurgewäuder waren aber so teuer,
daß nur ganz reiche Leute sie bezahlen konnten; einen Purpurstreifen am