Full text: Bilder und Lebensbeschreibungen aus der Weltgeschichte

104. Beginn der Reformation. 227 
Reformator der Kirche werden zu wollen; nur diesem greulichen Abla߬ 
unfug wollte er wehren, und er glaubte fest, der Papst wisse nur nichts 
davon, wie seine Boten es trieben. Einer der 95 Sätze lautete: „Die 
werden samt ihren Meistern zum Teufel fahren, die da meinen, durch 
Ablaßbriefe ihrer Seligkeit gewiß zu sein." Ein anderer: „Ein Christ, 
der seine Sünden wahrhaft bereut, hat völlige Vergebung auch ohne Ab¬ 
laßbriefe." Luthers Sätze erregten ungeheures Aufsehen und waren in 
vierzehn Tagen durch ganz Deutschland verbreitet. Alles staunte über 
den kühnen Mönch; unzählige gaben ihm recht, hielten ihn aber für ver¬ 
loren. Tetzel wütete und errichtete drohend zu Jüterbogk einen Scheiter¬ 
haufen. 
3. Unterredung mit Cajetan (1518). Papst Leo hielt anfangs 
den Streit für ein bloßes Mönchsgezänk. Als er aber sah, daß die 
Sache gefährlich werden könne, forderte er Luther auf. binnen 60 Tagen 
zur Verantwortung in Rom zu erscheinen. Hätte Luther Folge geleistet, 
so wäre es sicherlich um ihn geschehen gewesen. Aber schon hatte ihm 
Gott in seinem Kurfürsten Friedrich dem Weisen einen Beschützer er¬ 
weckt. Dieser setzte es beim Papste durch, daß Luther in Augsburg 
von dem Kardinal Cajetan verhört werden sollte. Zu Fuß, in einer 
erborgten Mönchskutte wanderte Luther dahin und trat vor den stolzen 
Kirchenfürsten. Dieser dachte bald mit dem armseligen Augustinermönche 
sertig zu werden und forderte ihn einfach aus, zu widerrufen. Luther 
aber bestand darauf, man müsse ihm zuvor sein Unrecht aus der Schrift 
beweisen. Je weniger der Kardinal das vermochte, desto heftiger 
wurde er, und zuletzt donnerte er ihm zu: „Gehe hin, und komme mir 
nicht wieder vor die Augen, du wollest denn einen Widerspruch thun!" 
Zu Dr. Staupitz sagte er: „Ich mag mit dieser Bestie — so pflegten die 
Italiener die Deutschen zu nennen — nicht mehr reden; denn sie hat tief¬ 
sinnige Augen und wunderliche Spekulationen im Kopfe." Da nun 
Luthers Freunde fürchteten, der Kardinal werde ihn gefangennehmen und 
nach Rom führen, so drängten sie ihn zur Flucht. Durch ein Mauer- 
pförtlein brachten sie ihn heimlich des Nachts aus der Stadt und setzten 
ihn auf ein Pferd, welches Staupitz herbeigeschafft hatte. Glücklich kam 
Luther in Wittenberg wieder an; Cajetan aber war nicht wenig ergrimmt, 
daß ihm der Ketzer entronnen war. 
4. Unterredung mit Miltitz (1519). Auch der Papst war sehr- 
verdrießlich über diesen Ausgang der Sache, und da er ganz richtig er¬ 
kannte, daß bei einem Manne wie Luther durch Freundlichkeit mehr aus¬ 
zurichten sei als durch Drohungen, schickte er den glatten und gewandten 
Kammerherrn Karl von Miltitz nach Sachsen. Dieser mußte dem Kur¬ 
fürsten, damit er Luther nicht schütze, eine goldene Rose überbringen. 
Eine solche pflegte der Papst alljährlich zu weihen und einem Fürsten, den 
er besonders auszeichnen wollte, als Ehrengeschenk zu übersenden. 
Miltitz beschied Luther zu sich nach Altenburg und bot hier alle Künste 
freundlicher Überredung auf. Er küßte ihn sogar und beschwor ihn 
weinend, doch nicht den Frieden der Kirche zu stören. Luther widerrief 
nun zwar nicht, versprach aber zu schweigen, wenn seine Gegner dasselbe
	        
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