Full text: Bilder und Lebensbeschreibungen aus der Weltgeschichte

105. Der Reichstag zu Worms. 229 
Luther zu seinem Freunde Melanchthon: „Komme ich nicht wieder, so 
fahre du, lieber Bruder, fort zu lehren; du kannst es noch besser." Seine 
Reise glich einem Triumphzuge, so sehr drängte sich das Volk, ihn zu 
sehen. Viele beschworen ihn auch, wieder umzukehren, indem sie ihn an 
Hussens Schicksal erinnerten. Er aber sagte: „Und ob sie zwischen 
Wittenberg und Worms ein Feuer anzündeten, das bis an den Himmel 
ginge, so wollte ich hindurchgehen!" Als er schon nahe bei Worms war, 
ließ ihm sein Freund Spalatin, Friedrichs des, Weisen Hofprediger, 
warnend sagen, er möge lieber nicht in die Stadt kommen. Da ant¬ 
wortete Luther: „Und wären so viel Teufel in Worms, als Ziegel auf 
den Dächern, so wollte ich doch hinein!" So fuhr er denn am Morgen 
des 16. April 1521 auf seinem offenen Wagen, mit seiner Mönchskutte 
bekleidet, in Worms ein. Vor dem Wagen her ritt der kaiserliche Herold, 
der nur mit Mühe einen Weg durch die zusammenströmende Menschen¬ 
menge bahnen konnte. Kaum des Kaisers Einzug hatte so das Volk er- 
regt; sogar auf den Dächern saßen viele, um einen Blick auf den Mann 
zu thun, der es wagte, sich dem Papste und seiner ganzen Macht zu 
widersetzen. Mit den Worten: „Gott wird mit mir sein!" stieg Luther 
dom Wagen und begab sich in seine Herberge. 
2. Vm' Kaiser und Reich. Die erste Nacht in Worms verbrachte 
Luther größtenteils in brünstigem Gebet. Schon am andern Tage wurde 
er vor die Reichsversammlung beschieden. Man mußte ihn durch Gärten 
und Hinterhäuser führen, weil auf den Straßen des Gedränges wegen 
nicht durchzukommen war. Vor der Thür des Saales klopfte der in den 
Waffen ergraute Feldhauptmann Georg von Frnndsberg Luther auf 
die Schulter und sprach zu ihm: „Mönchlein, Mönchlein, du gehst jetzt 
einen Gang, dergleichen ich und mancher Oberster auch in der allerernstesten 
Schlacht nicht gethan haben. Bist du aber aus rechter Meinung und deiner 
Sache gewiß, so fahre in Gottes Namen fort und sei getrost: Gott wird 
dich nicht verlassen!" Jetzt öffneten sich die Saalthüren, und Luther trat 
ein in die glänzende Versammlung. Da saßen der junge Kaiser Karl V., 
sein Bruder Ferdinand und all die Kurfürsten, Fürsten, Grafen, Bischöse 
und andern Herren; sie alle richteten nun ihre Augen auf den blassen, 
abgezehrten Mönch, der sich ehrerbietig dem Throne nahte. Auf einem 
Tische lagen Luthers Schriften, und man begann damit, ihn zu fragen, 
ob er dieselben als die semigen anerkenne. Das that Luther. Ob er 
ihren Inhalt widerrufen wolle, hieß es weiter. Luther, von der unge¬ 
heuren Wichtigkeit dieses Augenblicks überwältigt, auch etwas befangen in 
der so vornehmen Versammlung, bat sich noch eine kurze Bedenkzeit 
aus; denn hier handele es sich um der Seelen Seligkeit. Man gewährte 
ihm einen Tag. 
Am folgenden Tage, den 18. April abends, als die Fackeln schon 
brannten, stand Luther wieder an derselben Stelle. Alle Befangenheit 
war von ihm gewichen, und in ausführlicher Rede verteidigte er sich gegen 
die Zumutung des Widerrufs. Hierauf wurde ihm gesagt, disputieren 
könne man nicht mit ihm, er solle eine runde Erklärung abgeben, ob er 
widerrufen wolle, oder nicht. Da sprach Luther: „So will ich denn
	        
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