164. Der deutsch-französische Krieg von 1870—1871 (Schluß). 367
Frevel gegen „die heilige Stadt" — so nannten sie Paris — zu verüben
wagten. Als nun aber nach viermonatlicher Belagerung alle Hoffnung
auf Hülfe von außen schwand; als der Hunger, zu dessen Stillung auch
Hunde, Katzen und Ratten nicht verschmäht wurden, quälte; als mitten
im Winter die Feuerung und das Gas ausgingen; als auch ein letzter
großer Ausfall scheiterte: da endlich baten sie um Waffenstill¬
stand, dem dann die Übergabe von Paris folgte. Hiermit war der
Krieg entschieden. Zum Zeichen der völligen Besiegung hielt einen Monat
später eine Abteilung der deutschen Armee ihren Einzug in die französische
Hauptstadt.
6. Friede zu Frankfurt (io. Mai 71). Am io. Mai 1871
wurde zu Frankfurt am Main der Friede unterzeichnet. Bedingungen:
1. Frankreich trittdasElsaß außer Belfort, und Deutsch-Lothringen
einschließlich Metz an Deutschland ab. 2. Frankreich zahlt fünf
Milliarden Frank (= 4000 Millionen Mark) Kriegskosten und
behält bis zur Abzahlung deutsche Truppen im Lande.
So endete der Krieg von 1870 und 71. Nie sind in einem Kriege
so viele Gefangene gemacht. 370 000 Gefangene wurden nach Deutsch¬
land geführt; die als kriegsgefangen erklärte Besatzung von Paris zahlte
170 000, die nach der Schweiz gedrängte Bonrbakische Armee 83 000
Mann. An Adlern und Fahnen wurdeu 120, an Geschützen 6700 er¬
beutet. 23 Festungen wurden erobert und ungefähr ebensoviel Schlachten
geschlagen, ungerechnet die zahllosen kleineren Gefechte. Der ganze Krieg
hat 7 Monate gedauert.
7. Wiederaufrichtnng des deutschen Kaiserreichs (18. Jan. i87i).
Der Gewinn an Land und Leuten, an Ruhm und Geld war nicht der
einzige, ja nicht der größte. Wie die Glut das starre Erz schmilzt, so
schmolz die heiße Zeit der gemeinsamen Not und Gefahr, aber auch der
Begeisterung und des Sieges das deutsche Volk zu einem Ganzen zu¬
sammen. Während die Kanonen vor Paris donnerten, kam der junge
König Ludwig II. von Bayern zu König Wilhelm, der zu Versailles sein
Hauptquartier hatte, und bat ihn im Namen der Fürsten und freien
Städte, das deutsche Reich zu erneuern und die deutsche Kaiserkrone auf
sein ruhmgekröntes Haupt zu setzen. König Wilhelm erklärte sich bereit
und wurde am 18. Januar 1871 im Spiegelsaale des Versailler
Schlosses feierlich zum deutscheuKaiser ausgerufen. Es war eine
einfache, aber erhebende Feier, bei welcher manchem der Anwesenden das
Auge naß wurde. Auch der Kaiser war tief bewegt. Er gelobte unter
andern: „Ich will mit Gottes Hülfe allezeit Mehrer des Reiches sein,
nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an den Gütern und Gaben
des Friedens." Und solches geschah mitten in Feindesland, in jenem
Prachtschlosse Ludwigs XIV., von wo aus dieser arge Feind unseres
Vaterlandes seine Befehle zur Verwüstung und Beraubung Deutschlands
gegeben hatte. Fürwahr, ein ergreifender Umstand, daß gerade hier die
herrliche Erneuerung des deutschen Reiches erfolgen mußte. „Vom Herrn
ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augen."