Full text: Bergers Erzählungen aus der Weltgeschichte

— 208 — 
vom alten Frankreich noch übrig war, sollte vernichtet werden. Die 
alte Zeitrechnung wurde ausgehoben und eine neue begonnen mit dem 
21. September 1792, als dem ersten Jahre der „einen ungeteilten 
Republik"; an die Stelle des christlichen Kalenders trat der re¬ 
publikanische, in dem die einzelnen Tage nach Ackergeräten, 
Hanstieren unb Nutzpflanzen bezeichnet waren i die Kinder wurden 
mit römischen, griechischen, persischen Vornamen (Brutus, Aristides, 
Scidi) benannt. Die alten Münzen, Maße, Gewichte wurden durch 
neue — in der That bessere — ersetzt Die Kirchen wurden ver¬ 
wüstet und geschändet, endlich ans ° Betreiben des Pariser Ge¬ 
meinderates die christliche Religion abgeschafft, der Gottesdienst 
untersagt und an die Stelle der Gottesverehrung die lächerliche 
Fratze einer Verehrung der Vernunft gesetzt. 
Das verderbliche Beispiel der Pariser, der Vernunft einen 
Tempel zu bauen, wirkte auch in anderen Städten des damaligen 
Frankreich nach. Mit großer Feierlichkeit wurde im November 
1793 das Münster in Straßburg zum Vernunfttempel eingeweiht. 
Auch in Colmar führte man die Verehrung der Göttin Vernunft 
ein. Die Feier fand da am Nikolaustage desselben Jahres in 
nachstehender Weife statt. 
Schon vier Wochen vorher richtete man die Martinskirche für 
die Festfeier her. Der Hauptaltar, die vier Seitenaltäre und die 
Kanzel wurden niedergerissen und in Stücke zerbrochen. Die großen 
Taufsteine, die Weihwasserbecken, die Kirchenstühle und Bänke 
wurden sortgeschafft. Über dem Haupteingang der Kirche brachte 
man eine große, schwarze Tafel an, auf der mit goldenen Buch¬ 
staben geschrieben stand: Temple de la raison, Tempel der Ver¬ 
nunft." Im Innern der Kirche hatte man an Stelle des wegge¬ 
räumten Hochaltars ein hohes Gerüst aufgeschlagen, das einen 
Berg vorstellen sollte. Oben auf dem Gipfel loderte ein helles 
Feuer. Das sollte den Verstand, der Berg das Erhabene der 
neuen Republik darstellen. Am Abhang des Berges standen die 
aus Holz gemalten Figuren der Freiheit und Gleichheit, der 
Tapferkeit und Industrie. Um den Tempel weiter auszuschmücken, 
flochten die Frauen Colmars Kränze aus Blumen. 
er die Stelle eines „öffentlichen Anklägers" beim Revolntionstribnnal. Als 
solcher reifte er mit feiner Guillotine im Unter-Elsaß umher unb ließ im 
ganzen 31 Personen hinrichten. Das Ober-Elsaß verwehrte ihm ben Ein¬ 
tritt. Eine Zeitlang schlug er feinen Sitz in Barr auf. Hier verheiratete 
er sich unb zog an ber Seite feiner jungen Frau in einem mit sechs Pferben 
bespannten Wagen nach Straßburg. Diesen großartigen Einzug, ber ber 
Einfachheit republikanischer Sitten toiberfprach, benutzten feine Gegner und 
brachten ihn auf bie Anklagebank. Vier Stunben lang würbe er an ber 
Guillotine auf bem Kleberplatze ausgestellt unb vom Volke verhöhnt. Dann 
würbe er nach Paris abgeführt. Monate lang schmachtete er im^Kerker 
unb büßte, nicht ganz 38 Jahre alt, am 1. April 1794 auf bem Schaffst 
feine schweren Verbrechen.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.