Full text: Die alten Deutschen während der Urzeit und Völkerwanderung

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35. Der Ostgotenkönig Witichls. 
wie am vorigen Tage, wieder Herren des Schlachtfeldes ge¬ 
worden, und als sie nun in die Nähe der Grube kamen, 
vernahmen sie mit Staunen ein unterirdisches Gebrüll, 
gingen dem Schalle nach, fanden das Loch im Erdboden, 
lugten hinunter und fragten, da sie wegen der Dunkelheit, 
die unten herrschte, nichts erblicken konnten, wer da unten 
so fürchterlich schreie. Die beiden Leidensgefährten hatten 
unterdessen Zeit genug gehabt, ihre Verabredung zu treffen. 
Demgemäß schwieg der Römer still, der Gote aber rief in 
seiner Muttersprache hinauf, er sei bei dem letzten Gefecht 
hier hineingefallen, und bat, sie möchten ihm ein Seil hinab¬ 
lassen, daß er herauskommen könne. Seine Volksgenossen be¬ 
eilten sich natürlich, sofort seine Bitte zu erfüllen, ließen ein 
Seil hinunter und glaubten niemand anders als einen Goten 
hinaufzuziehen. Unten aber sprach der Römer zu dem Goten: 
„Lieber Freund, laß mich zuerst zugreifen. Denn wenn deine 
Waffenbrüder dich zuerst herauszögen und hörten, ein Feind 
sitze noch unten, so würden sie sich um mich wenig kümmern, 
und ich müßte elendiglich verhungern. Wenn ich aber zuerst 
hinaufkomme, so werden sie dich sicherlich nicht im Stiche 
lassen." Der Gote gab ihm recht, und so griff der Römer 
nach dem Seil und schwebte nach oben. Als nun die Goten 
sahen, wen sie ans Tageslicht gezogen hatten, wunderten sie 
sich nicht wenig. Der Römer aber hatte kaum die seltsame 
Geschichte erzählt, da ließen sie schnell das Tau nochmals in 
die Tiefe und zogen auch ihren Volksgenosfen heraus. Dieser 
bestätigte alles, was sein Leidensgefährte gesagt hatte. Da 
achteten die andern Goten getreulich den Vertrag, den die 
beiden zusammen geschlossen hatten, nahmen ihren Kameraden 
fröhlich mit sich ins Lager und ließen den Römer ungekränkt 
seines Weges zur Stadt ziehen. 
Einen rührenden Beweis von der Treuherzigkeit der 
Goten giebt folgende Thatsache. Südlich von Rom, am 
Tiberufer, nicht weit von der Stadtmauer, lag eine alte 
Kirche, die dem Apostel Paulus geweiht war. Zwar befanden 
sich dort keine Festungswerke, aber ein bedeckter Säulengang 
führte von da bis an die Stadtmauer, und zu beiden Seiten
	        
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