Full text: Die alten Deutschen während der Urzeit und Völkerwanderung

46 8. Bom Glauben und Götterdienst der alten Deutschen. 
Die Germanen, dieses Volk von Helden, konnten sich 
keinen Gott denken, der nicht irgendwie am Kriege beteiligt 
war. Dies gilt natürlich auch von ihrem höchsten Gotte 
Wodan, dem „Allvater" und „allherrschenden Gott". Er 
ist der Beherrscher der stürmenden, brausenden Luft, des 
rasenden Sturmes, der Führer des wütenden Heeres oder 
der wilden Jagd. In heiligen Nächten fährt er nämlich, 
aus weißem Rosse sitzend, mit seinem Gefolge von seligen 
Helden und Schlachtjungfrauen über die Wipfel der vom 
Sturmwind geschüttelten Bäume hinweg. Dann hört man 
Wasfenlärm und Rossewiehern, Husschlag und Hundegebell. 
Noch heute heißt in Mecklenburg der wilde Jäger „der 
Wode". Aber die wehende Luft ist auch ein Abbild des 
Geistes, der nicht an Ort und Zeit gebunden umherschweift, 
und darum erscheint Wodan zugleich als der alles durch¬ 
dringende Weltgeist. Er heißt der grübelnde, sinnende Ase, 
der Zauberkundige; er hat die Runen, d. h. die Weissagung 
und die Zeichen derselben erfunden, aber auch die Dicht¬ 
kunst und die geistige, edle Liebe. Man dachte sich ihn als 
einen hehren Greis, von einem blauen Mantel umhüllt, in 
der Rechten einen langen Speer, einen breitkrämpigen Hut 
auf dem Haupte, der ihm über das eine fehlende Auge tief 
herabhängt; denn Wodan hat nur ein Auge, wie der Himmel 
nur eine Sonne. Das Volk wußte, wie der Gott sein 
zweites Auge verloren hatte. Unermüdlich suchte er die Zu¬ 
kunft der Welt, das letzte Schicksal der Menschen und Götter 
zu erforschen, und um den Preis des Wissens gab er das 
eine seiner Augen her. Doch nichts erwarb er damit als die 
düstere Kunde voni schließlichen Untergang. Der Gott des 
Geistes hat aber seine Lieblinge, die Deutschen, auch die 
siegbringende Schlachtordnung, „den Eberkopf" oder Keil, 
gelehrt und ihnen die kriegerische Begeisterung - eingehaucht, 
durch die sie die Welt erobern sollen. Nicht persönlich 
kämpft er in den Schlachten mit, aber er bestimmt durch 
seinen Willen den Ausgang des Kampfes. Deshalb heißt er 
„Heervater" und „Siegvater". Auch „Walvater", Vater 
der Schlachttoten, wird er genannt; denn in seinem Aufträge
	        
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