100 Kap. 18. § 92. Karl der Dicke. (Neu- und Hochburgund.) Die Normannen.
genötigt, nach Deutschland zurückzukehren, wo er seine Länder seinem Bruder
„Ludwig dem Sachsen" übergab und 880 zu Altötting starb. Als zwei
882 Jahre nachher auch Ludwig starb, beerbte Kart III, genannt der Dicke,
alle seine Brüder und erhielt das ganze deutsche Reich nebst Italien. Da er
nach dem Tode des französischen Königs Karlmann (eines Sohnes Ludwig's
des Stammlers) an der Stelle seines erst fünfjährigen Bruders, Karl's
des Einfältigen (des einzigen noch übrigen Enkels Karl's des Kahlen), auch
die französische Krone erhielt (884), so befanden sich noch einmal die drei
Teile des ehemaligen fränkischen Reiches unter der Herrschaft eines Ein¬
zigen, mit Ausnahme von Burgund, das sich unterdessen unabhängig ge¬
macht hatte und in Neu- und Hochburgund zerfiel.
In Ober-Italien (d. i. in der Lombardei) hatten sich seit Kaiser Lothar's I
Tode die Verhältnisse so gestaltet: Karl der Kahle, der nach Lothar's II Tode
Kaiser geworden war, hatte seinen Schwager, den Grasen Boso von Vienne, als
Statthalter in Oberitalien eingesetzt; dieser aber wurde bald von der deutsch-karolingi-
schm Partei der italienischen Großen vertrieben, worauf er 877 die Statthalterschaft
der Provence in den ehemaligen burgundischen Gegenden des Rhonethals mit der
Hauptstadt Arles erhielt. Nach dem Tode Ludwig's des Stammlers 879 machte sich
Boso unabhängig und stiftete in den ehemaligen burgundischen Gegenden des
Rhonetals das neuburgundische Königreich Arelat (so benannt von der
Residenz Arles), wozu, außer der nachmaligen Dauphine, die Bistümer Lyon,
Arles, Aix, Avignon, Valence, Toulon, Marseille, Macon, Besan-
gon u. a. gehörten.
Aus dem noch übrigen Teile des altburgundischen Reiches, auf beiden Seiten des
Jura bis an die Alpen, stiftete etwas später, unter dem Kaiser Arnulf, ein Urenkel
Ludwig's des Frommen, Rudolf I, 887 das Königreich Jjodjburgunö (auch Nord¬
burgund genannt), wozu die Grafschaft Burgund (die später sogenannte Franche-
comte), ferner das nachmalige Savoyen (d. i. das Land zwischen dem Jura und
den pmninischen Alpen), das heutige Wallis, das Waadtland und die übrige
Schweiz bis an die Reuß gehörte. Er wurde vom deutschen Könige in der
Königswürde bestätigt und vererbte das Reich auf seinen Sohn Rudolf II, welcher
933 auch das Königreich Arelat an sich brachte. (Das westlich von der Saone ge¬
legene Herzogtum Bourgogne blieb französische Provinz.)
Karl der Dicke war nicht Karl der Große: seine Kraft reichte nicht aus,
den Verwirrungen zu begegnen, welche in Italien die Anmaßungen des Her¬
zogs von Spoleto und die Angriffe der Araber auf Rom, in Deutschland
aber die kecken Raubanfälle der Normannen hervorbrachten. Die letzte¬
ren hatten bereits die Gegenden von Köln, Trier und Coblenz verwüstet, als
endlich Karl der Dicke mit dem Heerbann herankam und sie an der Maas
einschloß. Anstatt sie aber anzugreifen und zu vernichten, schloß er einen
schimpflichen Vergleich, indem er ihnen einen Teil von Westfriesland über¬
ließ und 2000 Pf. Goldes zahlte. Dessenungeachtet fielen dieselben Normannen
im folgenden Jahre in die oft- und westfränkischen Gaue ein, drangen
mit 700 Schiffen bis Paris vor und belagerten es. Tapfer widerstand
ihnen Gras Odo von Paris (oder-Drancien) ein ganzes Jahr lang, bis
endlich Karl der Dicke zum Entsatz kam. Aber auch diesmal kaufte ihnen
der Kaiser den Frieden ab und gab ihnen sogar bis zur Zahlung des Löse¬
geldes von 7000 Pf. Silbers das Land an der obern Seine und ganz Bur¬
gund preis, wo bald von allen Enden die Flammen ausgeplünderter Bur¬
gen, Klöster und Dörfer emporschlugen.
Dieses schwache Benehmen des Kaisers empörte besonders die Deutschen:
die Fürsten ber Ostfranken, Sachsen unb Thüringer, ja selbst bie Alemannen