251. Am Grabe des Vaters.
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durch die zärtlichste Liebe alles Unrecht wieder gut machen, aber der Tote hört
nicht deine Seufzer, sieht nicht deine Thränen. Doch sei getrost! Du hast noch
Vater und Mutter, hast noch Geschwister, hast noch Freunde und Genossen:
ihnen trag' alle die Liebe entgegen, welche du für den Entschlafenen fühlest,
sie werden diese Liebe mit warmem Herzen empfinden und dir dafür danken.
Oliebe, liebe, so lange du lieben kannst!“ —
Und unser Blick schweift hin über die lange Reihe von Gräbern, die alt und
jung, reich und arm, vornehm und gering in sich bergen, und sie alle umschließt
doch eine Mauer, alle deckt eine Erde, alle ergreift eine Verwesung; da ist es,
als ob wir es in den hohen Zweigen der Ulmen rauschen und brausen hörten:
„Der Mensch ist wie ein Gras, das da frühe blühet und bald welket und
des Abends abgehauen wird und verdorret. Und du willst dich mit Jugend
und Schönheit brüsten? du trotzest auf deine Stärke? du siehst, weil dein
Vater reicher und vornehmer ist, als dein Nachbar, auf dessen Kind mit Hoch—
mut und Verachtung herab? Du bist doch nur von der Erde genommen und
sollst wieder zur Erde werden. Laß ab von deinen hochfahrenden Gedanken,
du Erdenwurm, hierher wirst auch du einst getragen, und alles, womit du jetzt
prunkest, mußt du dann hinter dir lassen. Beuge dich vor dem Allmäch—
tigen und sei demütig gegen deine Nächsten“
Bei solchem Klange durchfährt uns ein Schauer, und wir fühlen uns wie
zermalmt; aber da haftet unser Blick auf dem Zeichen der Versöhnung, dem
Kreuze, das die Gräber schmückt, und auf der stillen, unscheinbaren Resedablume,
die im vorigen Herbste auch zu Staub und Asche ward, aber aus ihrem Samen
ist wieder eine duftige Blüte entstanden. Und mit den leisen Düften der Blu—
men, aus denen sich das Kreuz erhebt, zieht Frieden und Trost in unser Ge—
müt; leise, aber freudig klingt es um uns herum:
„Christus, dein Erlöser lebt; leben wirst du, wirst ihn schauen. — Ver—
weslich wird hier gesäet, aber auferstehen wirst du unverweslich; unsterbliches
Leben wird er, der dich schuf, dir geben. An diesem Glauben, dieser
Hoffnung halte fest; nur dadurch erhebst du dich über das Tier, nur da—
durch bist du ein Mensch und Christ. Heil dir! du glaubest, du hoffest!“
So tönen die Stimmen des Friedhofes und nicht umsonst. Unserem
Herzen ist es, als hätte eine Rinde von Eis darum gelegen und wäre nun
aufgetaut: so frei und freudig schlägt es. Und wenn wir wieder in das Ge—
tümmel des irdischen Lebens hineintreten, dann dünkt uns die Welt viel schöner
und die Arbeit viel leichter als vorher; denn Liebe, Demut und gläubige Hoff—
nung verklären alles und überwinden alles. (Keck.)
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251. Am Grabe des Vaters.
Sriede sei um diesen Grabstein her, 3. Er entschlief; sie gruben ihn hier ein.
sanfter Friede Gottes! Ach, sie haben Leiser, süßer Trost, von Gott gegeben,
einen guten Mann begraben, und ein Ahnen von dem ew'gen Leben
und mir war er mehr. duft' um sein Gebein —
Träufte mir von Segen, dieser Mann, bis ihn Jesus Christus, groß und hehr,
wie ein milder Stern aus bessern Welten! freundlich wird erwecken! — Ach, sie haben
Und ich kann's ihm nicht vergelten, einen guten Mann begraben,
was er mir gethan. und mir war er mehr.
(M. Claudius.)