26 Kap. 6. § 35, Marbod. Kap. 7. § 36. Deutschlands Befreiung.
der unmittelbaren Nachbarschaft ber Römer wegzuführen unb anberwärts
ein Reich einzurichten. Er hatte in seiner Jugenb, wie viele anbere vor¬
nehme junge Germanen, eine Zeit lang in Rom gelebt, um sich römische
Bildung unb baburch Ehre unb Gunst zu erwerben. Dort von Augustus
bevorzugt, hatte er bie römische Kriegskunst gelernt, aber auch ihre Regierungs¬
kunst nur zu gut begriffen. Es war zwischen 4 unb 6 n. Chr., als er
bie Markomannen aus ber Nähe bes Oberrheins hinweg nach Böhmen (Bo-
johemium) führte unb bie Bojer, bie bisherigen Einwohner biefes Laubes,
vertrieb. Nachbem er sich auch noch anbere Völker am Main unb an ber
Saale unterworfen unb feine Herrschaft bis zur Ober unb Weichsel aus-
gebehnt hatte, richtete er in jenem rings burch Gebirge trefflich geschützten
Sanbe, burch ein nach römischer Art gebilbetes Heer von 70,000 Mann
zu Fuß unb 4000 Mann zu Pf erb, ein so starkes Reich ein, baß Rom
besorgt würbe unb gegen biefen ihm so gefährlichen Nachbar ben Krieg be¬
schloß. Schon war ber rheinische Statthalter Sentius Saturninus von
Westen her unb Tiberius von Carnuntum (an ber Donau) aus gegen
ihn im Anzug, als ein schwerer Aufftanb ber Pannonier unb Dalmatier
Tiberius mit feinen Legionen borthin rief, welcher nun froh fein mußte,
baß Marbob ben ihm angebotenen Frieben annahm.
Kap. 7. Deutschlands Befreiung vom Römerjoch.
Histor. Atlas, Tab. VII.
36. Die Ruhe, mit welcher die Deutschen am Niederrhein unb an der
Weser sich die schonende Behandlung des römischen Statthalters Sentius
Saturninus gefallen ließen, sowie die Neigung vieler Deutschen zum
römischen Kriegsdienste schien den Römern den Besitz Deutschlands zu
verbürgen. Denn nicht blos bei den Friesen und Chanken, deren Hilfe
Drufus so nützlich war, sondern sogar bei ben Cheruskern am Harz
stellten sich viele Jünglinge unb Männer unter bie römischen Abler unb
wußten, wenn sie mit Beute beloben ober mit bem römischen Bürgerrechte
beschenkt ober gar burch römische Würben unb Ehrenzeichen ausgezeichnet heim¬
kehrten, in argloser unb treuherziger Anerkennung fremder Verdienste nicht
genug die römische Herrlichkeit zu rühmen. Und Hütten die Deutschen von
Seiten der Römer stets nur freundliche unb freigebige Behandlung erfahren,
so würben sie sich allmählich, ohne es zu fühlen, bem Joche gefügt unb
am Enbe Sitte, Sprache unb Volkseigentümlichkeit eben so eingebüßt
haben als ihre schwächeren Nachbarn, bie Gallier.
Da fügte es sich, baß ein neuer Statthalter, Guintilius Uarus, kam,
ber zwar weder böse noch hartherzig war, aber, weil er es auf feinem
vorigen neunjährigen Statthalterposten in Syrien nur mit sklavisch Ge¬
sinnten zu thun gehabt hatte, auch in Deutschland sein Ansehen in herrischer
Weife geltend zu machen strebte und bei der Befriedigung feiner Habsucht
keine Grenzen kannte. Als derselbe daher schwere Abgaben forderte, au
die Stelle der altheimifchen Schiedsgerichte und der freien Gauverfaffung
die verwickelte römische Rechtspflege einführte, die prozeßführenben Parteien
vor römischen Richtern burch römische Sachwalter in römischer Sprache
vertreten ließ unb über freie beutfche Männer bie Strafe ber Ruten unb
bes Beils verhängte: ba fühlte bas Volk feine Schmach, unb am tiefsten