42. § 259. Christentum und Kirche. Franke. 423
des urchristlichen Grundsatzes born allgemeinen Priestertum zur Herzens¬
angelegenheit eines jeden Christen zu machen suchte. Waren auch aus
dieser warmen und lebendigen Anregung keine neuen Gestaltungen des kirch¬
lichen Lebens herborgegangen, so hat sie doch mcht nur aus einzelne em¬
pfängliche Gemüter, sondern auch auf die edelsten Kreise des geistigen
Lebens der Nation einen tiefen gesegneten Einfluß ausgeübt, welcher bon
der s. a. Pietistischen Schule der Unibersität Halle, obwohl nicht mit gleicher
Lauterkeit, noch lange fortgepflanzt wurde und bis auf unsere ^age in
manchen ehrwürdigen Erscheinungen wahrzunehmen ist Die Nachwirkungen
bon Speners Geist zeigten sich insbesondere durch den Zusammentritt christ¬
licher Gemeinschaften, denen neben dem eigenen Wachstum im Christen¬
tum die Verbreitung des Ebangeliums unter den Heiden am Herzen
lag, eine Pflicht, welche die katholische Kirche ihrnfeits me aus den
Augen gelassen hatte. Die erste deutsch-protestantische Missionsgesell-
fdiaft war die dänisch-hallische, die sich am Ende des 1 <. Jahrhunderte
bildete, und ihre Missionäre, unter welchen Iiegenbalg und Ächmar; die
bedeutendsten waren, nach Tranguebar in Ostindien aussandte.
Spener ähnlich, gewissermaßen aus seiner Schule herborgegangen, aber
in weiterem Umfange wirkte im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts der
um das praktische Christentum, wie um die Verbesserung des Schul¬
wesens jener Zeit gleich hoch berdiente August Hermann Franke, die
Seele der theologischen Facultät der damals neu gestifteten Umbersttat Halle
und Stifter des höllischen Waisenhauses. Er war zu Lübeck 1663
geboren, studirte in Erfurt und Kiel Theologie, wurde rn Leipzig Magister,
errichtete dort als Docent die Collegia philobiblica, die er so lange fort¬
setzte, bis ihm durch exclusib-orthodoxe Gegner Speners diese Vorlesungen
untersagt wurden. Hierauf ging er nach Erfurt, wo er das gleiche Schichal
hatte. Da erhielt er 1691 einen kurbrandenburgischen Ruf an bie neu
errichtete Unibersität Halle als Professor der griechischen und^ hebräischen
Sprache und zugleich zu seinem besseren Auskommen die Pfarrstelle zu
Glaucha, die er 1714 mit einer Predigerstelle zu Halle belauschte. Dort
nahm er sich besonders der Armen und Kinder an, deren leibliche und
geistige Not er mit aufopfernder Liebe zu heben suchte. Eine in der bon
ihm ausgestellten Sammelbüchse borgefundene Gabe bon 4 Talern beran-
laßte ihn, eine Armenschule damit zu begründen. Er bestellte einen armen
Studenten für wöchentlich 6 Groschen zum Lehren, fauste bon weiter ein¬
gehenden Beiträgen Schulbücher und unternahm Reisen, um für seinen
Zweck Geld zu sammeln. Sein lebendiges Gottesbertranen erweckte so biele
Herzen, daß er ein Haus zur Aufnahme bon Waisenkindern an¬
legen konnte. Oft ging ihm das Geld zur Bezahlung der Bauleute aus,
immer aber kam die Hilfe noch zu rechter Zeit und stärkte seinen Glauben.
Die nie betstegenbe Quelle freiwilliger Liebesgaben setzte ihn in den ^Ltand,
seinen Plan zu erweitern. Nach zehn Jahren wurden in seiner Anstalt
schon 125 Waiien und 75 arme Studenten ernährt und 800 fremde Kinder
unterrichtet. Um die Mittel znr Unterhaltung und Erweiterung der Anstalt
zu bermehren, berband er damit eine Apotheke, eine Bnchdruckerei, eine
Buchhandlung, eine Meierei, ein Pädagogium für Söhne wohlhabender
Eltern; und bald erhob sich auch ein Witwenhaus und eine Kranken-