Kap. 15. § 74—75. Pippin v. Heristal. Karl Martell. 73
nur auf kurze Zeit, weil das Reich nach Dagobert's Tode 638 sich bald
wieder teilte.
Schon Pippin's Sohn und Nachfolger Grimoald strebte für feinen
Sohn Childebert nach dem Thron; da ihm aber die fränkischen Großen
aus Ehrfurcht vor dem alten Königsgefchlechte entgegen waren, so mußten
beide, Vater und Sohn, diesen Versuch mit dem Leben büßen.
Grimoald's Tochter Begga, die alleinige Erbin der pippinifchen Güter,
vermählte sich mit Anfegifel, dem Sohne des Erzbischofs Arnulf von
Metz. Dieser Ehe, in der sich germanisches Blut mit romanischem mischte,
entsproßte Pippin's tapferer und kluger Enkel Pippin von Henstal (so be¬
nannt nach feinem Stammschloß an der Maas im Lüttichschen), der als
Majordomus von Austrasien durch feinen Über den neuftrifchen Majordomus
erfochtenen Sieg bei Testri (unweit St. Quentin an der Somme) auch 667
das Majorat von Neustrien und Burgund an sich brachte und sich Herzog
und Fürst von Franken nannte. Ja er machte diese Würde, die er
unter vier einander folgenden Königen bekleidete, in feiner Familie
erblich, und übte so im ganzen Frankenreich die Königsgewalt aus,
während die Merowinge nur den Königsnamen führten.
Mit großer Kraft und gerechter Strenge stellte er die gefunkene Ord¬
nung im Reiche her, führte die Märzfelder ein (89) und unterstützte die
angelsächsischen Glaubensboten (87), welche das Christentum unter
den heidnischen Germanenstämmen des östlichen Frankenreichs
verbreiteten.
75. In der gleichen Würde und Macht behauptete sich, wiewohl unter vielen
Kämpfen gegen feine herrschsüchtige Stiefmutter Plectrude (aus Baiern),
Karl Martell, Pippin's natürlicher Sohn, indem er durch den Sieg bei 614
Soiffons (719) alle feine Gegner bemütigte, die beständig einfallenden
Friesen und Sachsen zurückschlug und die Politik seines Vaters in Be¬
kehrung der heidnischen Deutschen fortfetzte. Seinen Ruhm aber erhöhte
er für immer dadurch, daß er die Christenheit in Europa aus
der Gefahr des Unterganges befreite, der ihr durch die
Araber oder Mauren drohte, nachdem diese wenige Jahre zuvor Spanien
erobert und dort auf den Trümmern des Weftgotenreichs ihre Herrschaft
gegründet hatten.
Es war nämlich die Macht des Islams, jener seit 622 im Volke der Araber auf¬
gekommenen falschen Lehre Muhammed's, von Osten nach Westen dringend, bereits
über die nach dem Sturze des Vandalenreichs wieder byzantinisch gewordenen Länder
Nordafrikas ausgebreitet. Unter Moawijah, dem ersten Chalifen der zu Damaskus
herrschenden Omaijadendynastie, hatte Akba, sein kühner Feldherr, die arabische
Herrschaft bis zum atlantischen Ocean ausgedehnt und von 672 an mehrfache, obwohl
vergebliche Versuche gemacht, in Spanien einzudringen. Ein Verrat brachte die Araber
endlich zum Ziele.
Das Westgotenreich in Spanien hatte um die Mitte des 6. Jahrhunderts die
Südküste an die Byzantiner verloren; dafür eroberte König Löwigild 585 das
Suevenreich und entriß auch den Byzantinern wieder einen Teil des Verlornen.
Im I. 587 nahm Reccared mit den Westgoten die katholische Religion an, wodurch
eine größere Annäherung der Landeseingebornen an die Westgoten zu Stande kam,
die durch ein gemeinsames Gesetzbuch gefördert wurde. Nach der völligen Ver¬
treibung der Byzantiner (624) suchten die Könige sich mehr zu befestigen. Allein
das Reich war durch die Unsicherheit der Thronfolge, durch das Uebergewicht
und die tote Orthodoxie des Klerus, durch die Eifersucht der weltlichen und geistlichen